Normalerweise fordert man von Diskussionsgegnern Siege. Bei Anwärtern auf das Amt des US-Vizepräsidenten ist es eher „Don’t do harm“ – also: Schade dem eigenen Präsidentschaftskandidaten nicht. Das Duell zwischen Sarah Palin und Joe Biden erwartete man wohl eher unter dem Motto: Macht bitte keine schrecklichen Fehler. Doch hämische Beobachter wurden gnadenlos enttäuscht. Mochte Palins Stimme am Anfang auch schwanken. Die bemitleidenswerte Frau mit sinnfreien Bandwurmsätzen aus vorherigen TV-Interviews war gestern abend völlig verschwunden. Groß war die Angst, ob Palin die 90 Sekunden jeweils füllen können würde.

Sarah Palin: „Look at the tobacco industry, look at the campaign finance reform…“
Gwen Ifill: „OK, our time is up here. We have to move on to the next question…“

Stattdessen musste die Moderatorin sie im Argumentationsrausch sogar abwürgen.

Sarah Palin: „We can speak in agreement here that darn right we need tax relief for Americans so that jobs can be created here…“

Palin preschte ständig voran, verurteilte beim Thema Finanzkrise die Gier und Täuschungslust der Wallstreetbanker, immer im Vokabular des einfachen Mannes von der Straße, dessen Stimme McCain braucht: Verdammt richtig sei es, dass Joe Sixpack nicht noch einmal ausgebeutet werden solle. Während Joe Biden ständig zur Moderatorin und damit bis zur Minute 18 nicht direkt in die Kamera blickte, tat Palin das fast von Beginn an und ließ Biden damit ein wenig alt aussehen. Ihre Slogans kannte man indes von McCains Reden: Obama wolle höhere Steuern und den Regierungsapparant aufblähen.

Joe Biden: „John on twenty different occasions called for more deregulation…“

Mehr als einmal griff Biden solche Behauptungen auf, führte ruhig aus, dass McCain der große Deregulator sei, der die Finanzkrise erst heraufbeschwor, der Feind der Mittelklasse, der deren Steuern erhöht und Ölfirmen belohnt. Offenkundig hatte es Biden nicht leicht: Attackiert er zu hart, schlägt er als Sexist auf eine wehrlose Frau ein. Ist er zu weich, sieht man ihn als unfähig an. Belehrt er Palin als Verfassungsrechtler, steckt sie ihn schnell in die Oberlehrerschublade. Lasst uns auf die Fakten schauen, immer wieder sein ruhiges Motto, sachlich, nicht chauvinistisch vorgetragen.

Joe Biden: „Facts matter! The governor did not answer the question on deregulation, did not answer the question on defending John McCain…“

Obwohl strukturierter und inhaltsreicher, klang das mal wie Aufklärung, mal wie eiliges Nachtreten.

Joe Biden: „Let me say it again…“

Dabei entlarvte sich Palin bei genauerem Zuhören dann doch: Gefragt, ob sie finanzielle Rettungspläne boykottiere, antwortete sie…

Sarah Palin: „That is not so. That’s just a quick answer. Because I want to talk about my record on energy…“

So sei das nicht, und ging zu ihrem Lieblingsthema Energie über. Das Diskussionsformat, bei dem die Moderatorin nicht kritisch unterbrach, unterstützte solche Täuschungsmanöver. Offenbar hat Palin ihre Crashkurse auf John McCains Ranch genutzt und leitete ein ums andere Mal die Frage um zu dem, was sie loswerden wollte. Auch beim Thema Klimawandel:

Sarah Palin: „I dont wanna attribute every activity of man to the changes in the climate!“

Sie wolle die Ursachen schlicht nicht diskutieren, wischt sie das vom Tisch, und behauptet mit ungekannter Chuzpe, die USA leisteten mehr im Klimaschutz als viele andere Länder. Auch hier war es Biden, der eine klare Sprache sprach und den beängstigenden Stand der Forschung referierte.

Joe Biden: „McCain said as recently as a couple of weeks ago: He wouldn’t even sit down and talk with the government of Spain – a NATO ally!“

Erst bei der Außenpolitik wirkte der sachliche Biden dann leidenschaftlich, setzte sich für Dialoge mit umstrittenen Staatschefs ein, forderte mehr Engagement in Afghanistan, das das eigentliche Zentrum des Terrorismus sei, den Bush wie McCain doch angeblich bekämpfen wollten. Die Argumente, gegenseitigen Unterstellungen und Korrekturen hatte man schon im Duell Obama-McCain gehört. Und für die führten Palin und Biden hier ihren Stellvertreterkrieg, machten eher den gegnerischen Präsidentschaftskandidaten, als ihren Livegegner herunter. Auch wenn Biden nicht, wie befürchtet, losschwadronierte, so verbarg er seine rhetorische Undiszipliniertheit hinter gnadenlosen Aufzählungen.

Joe Biden: „I havent heard, how his policies can be different on Iran than George Bush’s. I haven’t heard how his policies can be different with Israel than George Bush’s…“

Bis auf das Thema gleichgeschlechtliche Partnerschaften bot sich kaum Gelegenheit zum verbitterten liberal-konservativen Kulturkampf, wie man ihn vor allem von Bush gewohnt war. Joe Sixpack sollte nicht verschreckt werden, von keinem. Eher sollten ihn wohl die alten Sprüche gewinnen, von einem großen Land.

Sarah Palin: „And thank God I know what the joys are of living in America. We are so blessed, and I’ve always been proud to be an American. And so has John McCain!“

Oder gar von persönlichem Leid, das Biden in die Waagschale warf, der seine Frau und zwei Kinder bei einem Verkehrsunfall verlor.

Joe Biden: „Because I am a man who knows what it is like to raise two kids alone. I know what it is like to have a child and not know if he is gonna…gonna make it. I understand, I understand!“

Kein Dialogdesaster war das. Die Comedyshows in Amerika dürften betrübt sein. Die Präsidentschaftskandidaten erleichtert. Und die Wähler: Nicht unbedingt entschlossener. Nach der Palin-Manie der letzten Wochen kommt es nun vielleicht doch wieder auf die Präsidentschaftskandidaten an.

(für Information und Musik im Deutschlandfunk)