Gelangweilte alte, reiche Leute steuern ahnungslose junge Menschen wie in einem Computerspiel, ohne dass die etwas ahnen. In seinem neuen Roman erzählt der Koreaner Kim Ho-Yeon faustische Motive im Gewande eines Science-Fiction-Thrillers. Ideenreich und spannend, jedoch sprachlich nicht ganz überzeugend umgesetzt.

Kim Ho-yeon, geboren 1974 in Seoul, ist hierzulande unbekannt, in Korea aber schon eine Größe über die Kunstgattungen hinweg: Der studierte Literaturwissenschaftler hat als Redakteur, Theaterschriftsteller und Drehbuchautor gearbeitet, er hat für seinen Debutroman „Mangyodong Brothers“ schon einen Literaturpreis bekommen. Sein vierter Roman „Fauster“ spielt mit klassischen Figuren aus Goethes Faust und Science-Fiction-Elementen und ist nun auch bei uns erschienen – als erster ins Deutsche übersetzter Roman von Kim Ho-Yeon.

Es kann daher interessant sein, die eigene deutsche Kultur durch die Augen eines Anderen zu sehen. Warum also nicht durch die des koreanischen Science-Fiction-Autors namens Kim Ho-Yeon, der sich für deutschen Fußball, Fachwerkhäuser und Goethes Faust begeistert? Kim Ho-Yeon hofft im Nachwort seines Romans „Fauster“, die Leser könnten seiner Faszination nachspüren, aber es sei gleich gesagt: Der Vergleich mit dem deutschen Dichterfürst ist arg hochgegriffen für einen Thriller mit durchweg funktionaler Sprache, der unsere Kultur bloß in hastigen landeskundlichen Federstrichen grob skizziert.

Das ideenreiche Szenario hingegen ist packend und beginnt erst einmal in Korea. Hier existiert angeblich eine Geheimorganisation namens „Mephisto“. Mitglieder sind schwerreiche Mafiabosse und Wirtschaftsführer, die Mitgliedschaft im exquisiten Club beträgt 10 Millionen US-Dollar. Dafür gibt es den faustischen Traum einer zweiten Jugend:

In günstigen Momenten nämlich, beispielsweise bei OPs, setzt die Organisation Menschen heimlich Sender ins Hirn, die fortan Sinnesreize an externe Empfangsgeräte übertragen können. Cyber-Voyeurismus sozusagen! Ein hochtechnologischer Blick durchs Schlüsselloch für die meist älteren Mephisto-Verschwörer, die jeweils einen Menschen auf Lebenszeit „buchen“ und den Alltag von Studentinnen, Jungpolitikern oder Indiemusikern miterleben. In ihrem Geheimclub wetten sie sogar darauf, welche jungen Menschen es im Leben am weitesten bringen werden, und manchmal helfen sie dann sogar ein bisschen nach.

So geht es auch der Hauptfigur Junsok, Stürmer in einem Fußballclub in Seoul. Für ihn wird 2022 offenbar der größte Traum eines jeden koreanischen Kickers wahr: Ein Wechsel in die deutsche Bundesliga steht an! Über manche karrierefördernde Fügung im Leben hat sich Junsok noch nicht weiter gewundert. Bis er nach einem Autounfall im Krankenhaus aufwacht; vor ihm eine mysteriöse Frau namens Hejin, die erklärt: Er sei ein Opfer der Organisation „Mephisto“. Der ungeplante Unfall habe den Sender in seinem Hirn vorübergehend außer Kraft gesetzt, Junsok könne die Hintermänner von Mephisto daher nun unerkannt jagen. Hejin will dabei helfen, denn sie hat noch eine eigene Rechnung mit „Mephisto“ offen…

So beginnt Junsok eine twistreiche Jagd, die von Seoul eben bis zu den Fachwerkhäusern am Frankfurter Römer, also zum Showdown in Deutschland führen wird. Denn just in Goethes Geburtsstadt, erfährt man später, wurde die Firma „Mephisto“ vor Jahrzehnten gegründet. Kim Ho-Yeon macht die literarischen Bezüge bisweilen ein bisschen zu überdeutlich klar: Die bewusstseins-gehackten Menschen heißen „Fauster“, ihre Herren „Fausts“, mit der Firma schließen sie einen „Faustian Contract“.

Das Szenario erhält obendrein ein zweifelhaftes Geschmäckle, wenn wir lernen, dass „Mephisto“ von Leuten mit jüdischen Namen wie „Hanna Tenenbaum“ und „Simon Goldberg“ gegründet wurde. Die sammeln bei den geheimen Eliten Geld ein, ziehen die Strippen im Hintergrund und nisten sich in den Köpfen anderer ein wie, Zitat, „Blutsauger“. Kim Ho-Yeon kriegt noch gerade die Kurve, wenn er gen Schluss eine einzigartige Volte serviert, in der den Opfern ein wenig Gerechtigkeit widerfährt – von seiten der uralten Hanna Tenenbaum, die damit glücklicherweise mehr ist als eine hochproblematische Parasitenfigur.

Das alles ist ziemlich abgedreht, und die Handlung ist leider zu rasant, als dass sich das Innenleben der Figuren dabei wirklich entfalten könnte. Vor allem Junsok bräuchte eigentlich Tage, um die Ungeheuerlichkeiten, die er erlebt, zu verarbeiten: Unsere Willensfreiheit, unsere Kontrolle über unser Leben, unsere Individualität, all das scheint begrenzter, als wir glauben – diese Erkenntnisse der jüngeren Soziologie, Psychologie sowie Hirnforschung verarbeitet Kim Ho-Yeon zu einer stylishen Dystopie.

Da wundert es nicht, dass das Buch von der aktuell sehr erfolgreichen koreanischen Filmindustrie schon als Serie verfilmt wird. Es gibt darin Kämpfe, Verfolgungsszenen, Fußball, virtuelle Welten im Überfluss. Ein hochgetakteter Sci-Fi-Bildungsroman und die Geschichte einer Befreiung – in einer zweckmäßigen Sprache, aufgepeppt mit Goethe-Zitaten. Wer jedoch eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Faust-Mythos oder einer durch internationale Augen vermittelten deutschen Kultur sucht, wird ein wenig enttäuscht.

Kim Ho-Yeon: Fauster. Aus dem Koreanischen übersetzt von Kyong-Hae Flügel. Das Buch ist im Golkonda-Verlag erschienen. 432 Seiten kosten 20 Euro.

Der Beitrag ist für begrenzte Zeit nachhörbar auf den Seiten der SWR2 Lesenswert Kritik.