14 reimlose, dreizeilige Strophen und eine Zeile als Conclusio gewissermaßen. Das Gedicht, das Elizabeth Alexander gestern auf der Amtseinführung von Barack Obama vortrug, war verhältnismäßig kurz,vergleicht man es etwa mit dem Text von Maya Angelou für Bill Clinton 1993. Obwohl das Poem mit Spannung erwartet worden war, obwohl Elizabeth Alexander im Fernsehkanal CNN und im National Public Radio vorab schon erläutern konnte, dass sie diesen besonderen Moment in einer wohlgewählten Sprache einfangen wollte – im Nachrichtenwust ging der Text unter. Die Politjournalisten stürzten sich standesgemäß auf Obamas Rede und kommentierten gierig die Parade und die 10 Bälle des Abends. Später hatten die ersten Beobachter das Gedicht dann doch verdaut.
Viele Dichter werden in ihrem ganzen Leben nicht vor so vielen Menschen lesen wie Elizabeth Alexander in wenigen Minuten gestern. Ein großer Schritt für die Poesie war es dennoch nicht. Die ersten Besuchermassen zerstreuten sich schon während des Gedichts. In der Blogosphäre klagten die eilfertigen Kulturbeobachter eine mangelnde Sofortwirkung ein, schimpften, das Gedicht bleibe nicht in Erinnerung.
„Where are the rhymes? I think it’s a poem? Where’s P. Diddy?“
Der beim einfachen Volke beliebte Radiomoderator Rush Limbaugh kommentierte gar live und quasselte ähnlich tölpelhaft rein: Wo bleibe der Rapper P. Diddy, wo blieben die Reime, es sei doch ein Gedicht? Konservative Kulturkritik auf Kinderliedniveau eben.
In der Tat allerdings trug Alexander abgehackt vor – als bestelle sie Pizza, schrieb eine Kritikerin. Selbst ihr „Vorgänger“, Bill Clintons Zeremonialdichter Miller Williams, monierte den Duktus, wenngleich er seiner Kollegin Sparsamkeit, Einfachheit und einige überraschende Adjektive bescheinigte.
Aber insgesamt konnte das Poem nicht vollends überzeugen:
Sie wolle diesen Moment der Geschichte der USA in Poesie gießen, hatte Elizabeth Alexander in Radiointerviews angekündigt. Gewiss ging sie nicht so brachial wie Maya Angelou vor, die 1993 gleich mit den Dinosauriern begann und den Moment einer liberalen Amtsübernahme arg überhöhte, undzwar qua Naturlobpreis, Multi-Kulti- und Ökosprache.
Mit Schlaglichtern arbeitender Amerikaner erwies Alexander dem amerikanischen Klassiker William Carlos Williams ihre Referenz und blieb einfach. Aber genuine Beispiele für krisengeschüttelte US-Bürger waren es kaum, und zu leer.
Stärker, wenngleich auch nah am Klischee, gelangen die Bilder, die Sklaverei und Fron beschrieben: Eisenbahnarbeiter, Brückenbauer und Baumwollpflücker beispielsweise.
Wie ihre Vorgängerin Angelou beschreibt Alexander Geschichte als entbehrungsreichen Gang in ein erhofftes Licht, sah sich in einem kritischen Moment, und fügt sich in die Erzählung Amerikas als vorwärtsstrebende, unperfekte Gesellschaft ein – was Obama unglücklicherweise besser beherrscht, weil seine politische Rede nicht nur diagnostiziert, Stimmungen ausdrückt, sondern erlaubt, zu Handlungen aufzurufen.
Schonungslos waren die ersten Online-Kritiken der US-Blätter: Kein Charisma, schiefe Bilder, zu prosaisch, alte Metaphern, wenigstens Bezüge zu Walt Whitman oder Maya Angelou, las man. Das Gedicht könne nicht mit seinen Vorgängern mithalten, urteilte die LA Times. Schmerzlicherweise prügelten bei der liberalen „The New Republic“ gleich zwei Kritiker auf Alexander ein: Die bessere Poesie habe Obama geliefert, Alexander sei inauthentisch, rein rhetorisch geblieben. Sie habe versucht, für andere zu sprechen, anstatt zu den Menschen, und sei gescheitert, überhaupt habe sie eine große Chance zur Kritik vertan.
Der Dichter auf dem Balkon des Königs hat es generell schwer. Preist er den Machthaber, gilt er als affirmativ. Kritisiert er ihn, wirkt er wie ein armes Mönchlein, oder soll doch bitteschön gleich politische Reden schwingen oder predigen. Die Poesie ist eine Gradwanderung zwischen Subjektivem und Allgemeinem. Elizabeth Alexander sah das immer als ihre Herausforderung an. Nun ist sie selbst auf dem Podium des „Grand Prix“ der Poesie gelandet…
Die anderen Künste hatten es gestern einfacher: Die Kammermusik verzichtete mit der Sprache auf verhedderte Thesen. Die Predigten wiederum folgten den sattsam bekannten, eng umrissenen Genregrenzen – von den Männern Gottes erwartete auch niemand Schöpferisches, zapft hier doch schon ein bloßes Wort mächtige Assoziationsspeicher an – mächtiger, leider!, als neuerschaffene Bilder der Dichtung.
Dabei hatte das Gedicht das genuin Poetische, eben Sprachphilosophische zu bieten. „Wir treffen uns in Worten“ – eine klare Botschaft, dass Sprache das verbindende Element ist, Brücken baut, versöhnt. Viele seien für diesen Tag gestorben – ein Bekenntnis zu klarer Sprache, gegen Sprache als Verschleierung, wie zu Bushs Zeiten. Das sind Reflexionen, die weder der wortgewaltige Obama, noch die religiösen Reden zu bieten hatten.
Vielleicht wäre eine Dichterin besser in den Vorveranstaltungen am Wochenende, vor kleinerem Publikum, zur Geltung gekommen, als auf einem „Event“, das eher an eine Fußballweltmeisterschaft erinnerte, und nach einem Präsidenten, der seine Worte zu wählen weiß.
Gesendet in einer Kurzversion in der Sendung „Kultur heute“ im Deutschlandfunk.