Sozialer Aufstieg für alle, Wohlstand, vielleicht ein Haus, ein Auto…das ist der amerikanische Traum, der nicht nur die Amerikaner beflügelt, sondern heute wie seit Jahrhunderten Menschen in das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ lockt. Doch wie lange noch? Zwar  ist das Versprechen auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück sogar in die Verfassung eingeschrieben. Doch die Finanzkrise hat den Traum vom Vorstadthäuschen für viele zerschlagen. Muss der amerikanische Traum nun neu definiert werden oder ist er gar am Ende? Die Dichter und Denker in den USA haben unterschiedliche Antworten.

Dass die Vereinigten Staaten ein Ort des Glücks, der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten seien, davon hat nicht erst die Westside Story in den 50er Jahren erzählt. Durch die ganze Geschichte der USA lässt sich diese verheißungsvolle Idee verfolgen: Dass dieses Land jedem eine Chance biete, dass jeder reich werden könne, wenn er sich nur anstrengt, ganz gleich, welcher sozialen Schicht er angehört.

„Amerikaner leben und sterben mit dem amerikanischen Traum. Er ist in unsere Gene eingeschrieben. Das sind wir. “

…meint etwa Jim Cullen, Historiker und Lehrer an einer New Yorker Privatschule. In einem Buch hat er aufgezeigt, wie Millionen von hoffnungsvollen Einwanderern diesen Traum wachgehalten haben – und wie er auch von den Intellektuellen des Landes gefördert wurde. Etwa von Thomas Jefferson und den Autoren der Unabhängigkeitserklärung, die den Bürgern „das Streben nach Glück“ zubilligten. Doch hat sich der Traum nicht längst als schönes Märchen erwiesen?

Gerade die US-Intellektuellen haben den Traum durch die Jahrzehnte immer wieder kritisiert. Der  Schriftsteller F. Scott Fitzgerald etwa brandmarkte ihn in den boomenden zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts: Im Roman „Der große Gatsby“ wirken die erfolgreichen Aufsteiger unmoralisch, selbstsüchtig und materialistisch. Für die meisten Amerikaner war das bis vor Kurzem allenfalls eine High-School-Lektüre, ein Buch, das weit entfernt von der Realität am amerikanischen Traum herummäkelt. Jetzt aber, in der Krise, mutet solch eine Kritik überhaupt nicht mehr akademisch an.

Die Autorin A.M. Homes denkt, in den vergangenen Jahren sei der Traum zu materialistisch geworden. Überhaupt sei er auf die Idee reduziert worden, ein Eigenheim am Stadtrand zu besitzen:

„Wir vergaßen, dass der Traum ein Traum war. Man glaubte wohl, es sei ein Anspruch, man müsse noch nicht einmal dafür arbeiten. Leute, die kein Eigenkapital für ihre Häuser hatten, bekamen trotzdem Darlehen. Das eigene Haus ist einfach ein fundamentaler Bestandteil des amerikanischen Traums.“

Die Finanzkrise entstand nicht nur dadurch, dass die Banken nach dem schnellen Geld durch faule Kredite gierten. Sondern auch, weil der kleine Mann blind gegenüber seinen finanziellen Möglichkeiten vom eigenen Häuschen träumte. Nur Intellektuelle können diese kulturellen Wurzeln des Desasters freilegen – Wirtschaftsführer würden mit solchen Aussagen zynisch und arrogant wirken, Politiker fürchten um ihre Wiederwahl. Doch ist die Hoffnung des kleinen Tellerwäschers auf ein Leben als Millionär damit für immer gestorben? Der Historiker Cullen:

„Wir sehen, wie eine Version des Amerikanischen Traums an ihr Ende kommt, diese Idee von schnellem Erfolg ohne Anstrengung. Wenn Sie mich fragen würden, ob dieser Kapitalismus der windigen Börsenmakler diskreditiert worden ist, würde ich sagen: Ja. Er ist tot.“

Plötzlich wird die öffentliche Diskussion wieder von den Kritikern des freien, ungezügelten Marktes geprägt, eines Marktes, der Menschen im Niedriglohnsektor gefangen hält und keinerlei traumhafte Aufstiegschancen bereit hält, während die Chefs sich bereichern. Der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman etwa kritisiert solche Ungerechtigkeiten und findet als Nobelpreisträger 2008 nun noch mehr Gehör.

Überall findet man Zeichen eines erwachenden kritischen Bewusstseins, gerade auch im Theater. Als Parabel auf die aktuelle Krise feierte die Presse etwa das erfolgreiche, neuinszenierte Stück „All my sons“ von Arthur Miller am Broadway.

Hier hat ein Unternehmer wissentlich defekte Flugzeugteile aus der Fabrik an die Armee ausgeliefert – und damit den Tod von Piloten in Kauf genommen. Der Mann hat sich nicht um die Konsequenzen geschert, weil er seine Familie ernähren und voran kommen wollte, vielleicht genauso wie die New Yorker Banker heute. Simon McBurney inszenierte „All my sons“. Den amerikanischen Traum sieht er aber nicht am Ende:

„Jeder muss versuchen können, zu erreichen, was er sich wünscht. Arthur Miller würde keine europäische Gesellschaft mögen, in der man nicht voran kommt, nur weil man der falschen Klasse angehört. Die Frage ist eher: Wie kommt man voran, mit was für einer Moral? Und Miller würde sagen, dass genau diese Sichtweise auf die Wirtschaft kriminell ist.“

Mit diesem amerikanischen Alptraum müsse Schluss sein, mit diesem falschen Traum, dass der eine Millionär wird und ein anderer dafür bezahlt. Dass die USA heute keinesfalls das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind, artikuliert sich gerade auch in der Immigrantenliteratur. Die aus Russland stammende Anya Ulinich beispielsweise zeigte kürzlich in ihrem Buch „Petropolis“ sarkastisch, wie Einwanderer übervorteilt und ausgebeutet werden. Den Pulitzerpreis 2008 erhielt Junot Diaz für einen Roman, in dem ein Einwanderer aus der Dominikanischen Republik ständig zurückgeworfen wird. Im Wahlkampf 2008 meldeten sich ungewohnt viele Schriftsteller zu Wort, und wünschten sich mehr Ausgleich für die Schwächsten, etwa John Updike.

Die Demokraten sorgten für mehr Ausgleich für die Verlierer im Land, und Obama habe Mitgefühl und Interesse, argumentierte Updike da für den späteren Präsidenten. Soll der Tellerwäscher tatsächlich Millionär werden können, muss man ihm gelegentlich unter die Arme greifen. Gesellschaftliche Verantwortung muss einen Teil des amerikanischen Traumes ausmachen, fordert Sudhir Venkatesh, Soziologieprofessor an der Columbia-University.

„Was fehlt, ist ein neuer Sozialvertrag. Immer, wenn es eine kollektive Anstrengung gibt in den USA, wenn zum Beispiel ein faires Gesundheitssystem geschaffen werden soll, schreien viele gleich: Sozialismus! Wir verstehen anscheinend nicht, was uns als Gesellschaft überhaupt zusammenhält. Wir müssen endlich wieder die Frage nach Gerechtigkeit stellen. Wir tun das nicht, weil wir glauben, der freie Markt sorge schon für Gerechtigkeit. Denn wir glauben den Ökonomen, als seien sie Priester. Aber aus einer Marktlogik können weder Gerechtigkeit, noch Fairness in einer Gesellschaft entstehen!“

In einer solchen Stimmung werden Bücher zu Bestsellern, die den amerikanischen Traum zunächst entkräften: Malcolm Gladwell etwa legte in „Outliers: The story of success“ dar, was Menschen wie Bill Gates erfolgreich werden ließ: vor allem das Glück und die Lebensumstände und weniger Intelligenz und Begabung. Gladwell plädiert deshalb dafür, den Schwachen bei der Verwirklichung ihres Erfolges unter die Arme zu greifen, um ihnen mehr Chancen auf die eigene amerikanische Erfolgsstory zu geben.

Mehr Gemeinsinn – dieses Motto ließe sich konkret politisch umsetzen, etwa mit einer allgemeinen und bezahlbaren Gesundheitsversicherung, mit einer leistungsfähigeren Sozialversicherung, mit besseren öffentlichen Schulen. In der öffentlichen Diskussion wären dann Firmengewinne nicht mehr das Maß aller Dinge; es könnten auch soziale Utopien diskutiert werden. Vor allem mit einem Präsidenten, der eines seiner Bücher programmatisch “Dreams from my father”  nannte – die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison zeigte sich begeistert. Jim Cullen hofft, wie viele, auf einen intellektuellen Stimmungsumschwung.

“Wir haben jetzt einen Präsidenten, der klar ein Intellektueller ist, der Bücher geschrieben hat und der die Kraft von Ideen schätzt. Wir erleben gerade eine Wiedergeburt wie in den 60er Jahren. Eine neue Version des amerikanischen Traumes kann wiedergeboren werden, eine moralische, kollektive, nachhaltige und erreichbare Version. Es gibt eine Chance für den Traum von Martin Luther King.”

Etwa, indem nun Homosexuelle mehr Bürgerrechte bekommen, ein Wunsch, der unter linksliberalen Intellektuellen als Projekt für das kommende Jahrzehnt gilt. Doch wie können die Intellektuellen den amerikanischen Traum aktiv fortschreiben und weiterdenken? Viele empfanden die Öffentlichkeit in den vergangenen acht Jahren als intellektuellenfeindlich und die Mainstream-Medien geradezu als gleichgeschaltet – oder als belanglos. Autorin A.M.Homes:

„Wenn wir Schriftsteller hier in den USA interviewt werden, stellt man uns doch keine politischen Fragen! In Europa werde ich ständig gefragt: Was ist in Eurem Land los? Das ist ein Problem in den USA, es ist alles so oberflächlich: Man fragt eher nach der Mode, die Du trägst. Man erwartet – anders als in Europa – vom Künstler keinen Kommentar.”

Gewiss sind das auch die Zwänge der Mainstreammedien, in die es sehr linksliberale Schriftsteller oder Wissenschaftler nicht schaffen. Sie kommen dafür immer mehr in alternativen Blogs zu Wort, etwa in „The Huffington Post“ oder „The daily beast“. Das ist auch ein Gegengewicht zu Hollywood mit seinen simplen Träumen von Erfolg, die eher einlullen, als zu verändern, finden gerade viele New Yorker Intellektuelle. Der Regisseur Simon McBurney hält das Theater für ein würdiges Medium der Veränderung, weil es konzentrierter sei.

 „Das Theater existiert eigentlich nur in den Köpfen der Zuschauer. Aber es ist eine soziale Kunstform: Alle strengen gleichzeitig ihre Einbildungskraft an. Ein Theaterstück führt also zu einer gemeinsamen Vorstellung. Dann fühlen wir eine starke Verbindung zueinander, und wir verstehen, dass wir eine Gemeinschaft sind!“

Gemeinschaft statt Ellbogengesellschaft, Fairness, belohnte Leistung – das könnte ein wiedergeborener amerikanischer Traum sein. Und nach acht Jahren bietet sich den Intellektuellen die Chance, diesen Traum nicht nur zu interpretieren, sondern ihn mitzugestalten. Denn verschwinden werde der Traum nicht, prophezeit der Historiker Jim Cullen.

„Es wird diesen Traum noch geben, lange nachdem dieses Land verschwunden ist. In jeder Ecke der Welt kann er Menschen ermutigen. Und überhaupt: Ich denke nicht, dass Träume irgendwie zerstört werden können.“

Für die Deutsche Welle.