Durch seine Bücher „Agnes“ und „Blitzeis“ wurde er einem größeren Publikum bekannt: der Schweizer Autor Peter Stamm. Sein Name steht für eine äußerst karge Prosa, die immer wieder um ein Grundthema kreist: Das verpasste, aufgeschobene, langweilige Leben von Menschen, die oft genug jeglichen Lebenstraum aufgegeben haben. Mal ist es eine unerfüllte Jugendliebe, mal eine Krebserkrankung, die die Protagonisten herausreißt, wenngleich auch nur ein klein wenig. Ähnliches schenkt uns Peter Stamm nun in seinem neuen Erzählband. Pascal Fischer hat mit dem Autor über das Buch gesprochen.

„Ein Mensch, der vollkommen in sich ruht, ist für die Literatur nicht interessant. Von daher habe ich gerne Figuren, die etwas verändern müssen und wollen. Ich denke, diese Menschen sind gesünder als andere. Sie sind wie die Vase mit Sprung: Die geht nicht mehr kaputt.“

Im neuen Erzählungsband tauchen sie wieder auf, die typischen Figuren von Peter Stamm: Leichtgläubige, enttäuschte und unentschlossene Menschen begegnen der geballten Ödnis des eigenen Lebens. Eine Frau, die eine Beziehung mit dem Mieter aus dem Obergeschoss anfängt, muss erkennen, dass alles in einem undefinierbaren Nichts endet. Ein kleiner Hotelangestellter wartet abgekapselt auf das Ergebnis seiner Krebsuntersuchung – und findet in der Einsamkeit seine wahre Freiheit, selbst, als er erfährt, dass er nicht krank ist. Leise Triumphe und Auswege deuten sich hier und da an und die langsame innere Entwicklung der Figuren fasziniert, so erwartbar sie manchmal auch sein mag.

„Eine Geschichte hat eine Form, die Form verlangt das Ende, das ergibt sich von selbst. Wie ein Maler, der eine Figur malt – die hat dann ihre Zwänge. Es gibt ja oft zirkuläre Geschichten, wo das Ende zum Anfang führt. Das ergibt sich durch die Form der Geschichte.“

Mitunter mehrere Jahre lang, bis zu 30 Mal hat der Autor auch dieses Mal – wie schon früher – an seinen Erzählungen gefeilt. Das hat sich gelohnt: Pointiert und erschütternd sind sie geworden, gerade auch durch die kurzen, einfachen Sätze. Die meditativ-melancholische Stimmung verdankt sich auch einer Entwicklung in Stamms Stil.

„Bei Agnes, meinem ersten Buch,  da gab es mehr direkte Rede. Ich habe eine Tendenz zur indirekten Rede. Das sind ästhetische Entscheide, die man von Moment zu Moment fällt, ich kann nicht immer den Grund sagen – das sind dann so Gefühlsentscheide.“ 

Dabei sind zwei Geschichten anders als die restlichen im Buch: Etwa, wenn Stamm einen Paranoiker schildert, der geheime Botschaften auf Videokassetten zu hören glaubt – ähnliche Motive tauchten in Stamms Werk schon früher auf, gerne hätte man mehr davon gelesen. In einer anderen Erzählung balanciert Stamm gekonnt zwischen einer fein geschliffenen Ironie und der Einfühlung in einfältige Menschen: In einem Dorf scheint die junge Mandy Jungfrau und dennoch schwanger – schließlich glauben der Pfarrer und die Gemeinde an die Ankunft eines neuen Messias, alle fragen sich, ob das Kind Jesus heißen darf. Am Ende ist es ein Mädchen – und wird Sandra genannt.

„Es gibt nicht einfach einen Sound, den man hat. Das habe ich gemerkt nach Blitzeis, da habe ich gedacht: Das gefällt den Leuten, da kann ich immer so weiter machen. Aber das verliert die Kraft. Man muss sich weiterentwickeln, aber in engem Rahmen. Ich werde nicht zum Thomas Bernhardt…!“

Stamms unterkühlte Distanz erzeugt eine seltsame Distanzlosigkeit. Wer das schon früher mochte, wird vom lakonischen Sog dieser Geschichten begeistert sein.

(für NDR Kultur)