Kicker-Roman auf der Longlist für den deutschen Buchpreis: Tonio Schachinger erzählt in seinem Debütroman von einem untreuen Fußballer und dem harten Sportgeschäft. Ein Spagat zwischen conditio humana und Gossensprache.
Tonio Schachinger ist die große Überraschung auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Nicht nur mit seinem Debut, sogar mit der Erstveröffentlichung hat es der 1992 geborene in die Erstliga der Literatur geschafft. „Nicht wie ihr“ erzählt vom Leben eines hochbezahlten Fußballstars, der seine Ehefrau mit seiner Jugendliebe betrügen will. Aber eigentlich noch von viel mehr…
Literatur über Fußball ist eine Gratwanderung: Sie soll realistisch sein, wird aber das Fieber von Liveübertragungen nicht erreichen können. Sie soll in den Kopf von Kickern gucken, fußballfernere Leser aber nicht vergraulen: Denn in diesen Kickerköpfen geht es gerne nicht allzu fein- und tiefsinnig zu, so auch nicht im Kopf von Ivo Trifunović, dem Held in Tonio Schachingers Roman „Nicht wie ihr“.
Und genau so erzählt er seine Geschichte auch, dieser Ivo: österreichischer Nationalspieler, millionenschwer in der englischen Erstliga verpflichtet. Einst ein dunkelgebräunter Käfigkicker mit Irokesenschnitt, fährt Ivo jetzt Aston Martin und Bugatti, hält gerne mal nach perfekten Brüsten Ausschau, dabei hat er sich schon vor Jahren an der Hotelbar die Bedienung angelacht: Jessy, nun seine Ehefrau, platinblond, Strumfband-Tattoo. Es war echte Liebe. Aber die Idylle ist in Gefahr: Ivos heiße Jugendliebe Mirna ist wieder aufgetraucht!
Ja, das hat was, wie Tonio Schachinger eine bröckelnde Ehefassade und die aufziehende Untreue beschreibt, mit leuchtenden Details, triebhaft, mal kreativ-bildlich, mal sehr direkt mit Ivos prolliger, unbeholfener, ehrlicher Stimme: Der Sex mit Ehefrau Jessy? Nur noch eine „Transaktion von Orgasmen“. Dagegen Mirna? „Eine fucking Göttin“, die „schmeckt wie ein „Erdäpfelsalat aus Süßkartoffeln“, mit der der Sex ist wie „geriffelte Chips, überall Oberfläche, Rillen, Poren“. Hände an Autoscheiben, die von innen beschlagen, kreisende Hüften… Naturgemäß drohen Komplikationen, und eine unerwartete Katastrophe wird zeigen, wer und was das Wichtigste ist im Leben…
„Rotzig, deep und fresh“ nennt der Verlag die Sprache, es scheint im Roman klar durch, dass Tonio Schachinger seine Diplomarbeit über österreichischen Rap schreibt. Er bereichert die Literatur durch glanzvolle Fußball-Sprachbilder, etwa wenn Ivo strahlt „wie ein volles Stadion im Flutlicht“. Vieles ist aber auch nur Gossensprache. Ivo blickt arrogant-hasserfüllt auf „Hurensöhne, Lappen, Missgeburten, Opfer mit Stoffsackerl, Studenten, Modellbahnsammler, EAV-Hörer, Kabarettfans“ – denen er allen in die „Goschn hauen“ will.
Komplett verübeln kann man ihm diesen Hass nicht. Denn das Faszinierende am Roman ist, wie Schachinger allgemeinmenschliche Konflikte schildert, gerade auf der Folie Fußball, weil sich hier in Extremform zeigt, wie Individuen heute zerrieben werden. Da ist so Vieles:
Die Männerrollenproblematik etwa, wenn Ivo mit seinem angeblich jugoslawischen Machotum nicht weiterkommt bei Frauen, die nicht nur über Makeup und Kinder reden. Die Heuchelei Österreichs, ihn zum Nationalspieler zu machen, ihn aber ständig fühlen zu lassen, dass er anders ist als all die Julians und Olivers im Team. Der Zwang zu Leistungssteigerung und ewigem Wandel. ie brutale Altersauslese, die bei ausgemusterten Sportlern schon ab 27 Jahren greift. Überhaupt der Turbokapitalismus in einem zutiefst korrupten, kungelnden Sport, in dem Spieler wie Ivo nach Gutsherren Art verplant, nach Holland, Spanien, England, Italien verkauft oder halt auf die Bank geschickt werden. Wogegen nur die perverseste Selbstdarstellung als Fußballheld auf Instagram hilft…
Viele reale Fußballereignisse sind in die Geschichte eingeflossen: Champions-League-Finalspiele, Weltmeisterschaften, Transfers, Querelen. Ein Schlüsselroman ist das nicht, aber Fußballnerds werden in Ivo Züge des frechen Zlatan Ibrahimović oder des egozentrischen Marko Arnautović wiedererkennen. Seitenhiebe gibt es auf die Sportjournalisten, die wie trainierte Affen die ewig gleichen Fragen stellen und Plattitüden über einzelne Sportler verbreiten.
Aber was sollen die, genauso wie Literaten, auch tun angesichts solch schlichter Protagonisten? Bis zuletzt weiß man nicht: Wollte Tonio Schachinger Ivos leicht beschränkte Art einfach konsequent durchhalten, oder wollte er tatsächlich nicht tiefer gehen?
Natürlich kann man mit diesem Buch verkorkste Ästheten ebenso wachrütteln wie einfache Gemüter von der Fußball-Liveübertragung weg hin zu Büchern lotsen. Ein Buch mit beachtlichem Stilwillen. Aber leider verliert es sich ein bisschen zu sehr in der seichten Fußballwelt.
Rezensiert für die SWR2 Lesenswert Kritik.
Tonio Schachinger: Nicht wie Ihr. Erschienen bei Kremayr und Scheriau. 304 Seiten kosten 22,90 Euro.