Jiddisch ist ein Sprachgemisch aus mittelhochdeutschen Wurzeln, mit slawischen Einsprengseln und religiös aufgeladenen hebräischen Wörtern. Ein Sprachgemisch, das in Europa seit dem Mittelalter entstanden ist und regionalisiert von Polen über Teile von Deutschland bis nach Südosteuropa gesprochen wurde. Überrascht es, dass New York immer mehr zu einem neuen Jiddisch-Zentrum wird?
Anders als viele andere Einwanderer in den USA geben jiddisch-sprechende Juden ihre Sprache an die Kinder weiter. Das heißt aber nicht, dass hier konservative, religiöse Sprachbewahrer heranwachsen. Ganz im Gegenteil. Jiddisch lebt gerade auch im liberalen jüdischen Milieu – und wird in einer ganz neuen, frechen Aneignung der alten Kultur weitergeführt. Pascal Fischer berichtet.

MUSIK Sendung mit der Maus

Waletsky: „Yiddishe kultur is weltlache kultur. Hebräisch is for israel, aber das ist a staat. Jiddn haben ka staat, müssen haben a sprach!“

Das war Jiddisch!

ATMO „sukkos mob“

Schläfenlocken, traditionelle Anzüge wie zum Besuch für eine Yeshiva, eine jüdische Religionsschule. Seltsam nur, dass die Personen vorne in der nächtlich errichteten Hütte zum traditionellen Laubhüttenfest Frauen sind. Gewöhnungsbedürftig wohl auch, dass sie Pappmachéhüte und Sonnenbrillen im Mafiastyle tragen und dazu  jiddische Lieder singen! Alles unter der Ägide von Performance-Künstlerin Jenny Romaine.

Romaine: „Das Laubhüttenfest der konservativen chassidischen Juden hier in New York ist doch auch verrückt: Wie Karneval, mit Äffchen- und Geistershows. Wenn die so etwas machen, mache ich das auch, habe ich mir gesagt. Im Kommentar zur Torah steht, dass man sich zum Laubhüttenfest freuen soll, dass das früher in Jerusalem wie ein Riesenrave war.“

Der Performance-Titel „Sukkos mob“ heißt etwa: Laubhütten-Gangster. Eine eigenwillige Art, die Tradition fortzuführen, hier mitten auf der Straße im orthodox-jüdischen Viertel Borough Park in Brooklyn.   Ganz anders ist das, als etwa das jiddische Theater, die Folksbiene, in New York, bei der schon die traditionelle Kostümierung eher kulturkonservativ wirkt. Die chassidischen Einwanderer in Brooklyn mag das ansprechen, nicht aber junge Leute.

Leseprobe zur Glückl von Hameln

Für die brachte Jenny Romaine Texte der „Glückl von Hameln“ in Englisch und Jiddisch auf die Bühnen off off broadway: Im 17. Jahrhundert beschrieb die Glückl von Hameln  die Juden recht selbstironisch als Volk mit seltsamen Bräuchen. So eine Collagekunst spricht junge Jiddisch-Sprecher an.

Waletsky: „was kann man sagen in Yiddish?“

Zum Beispiel David Waletsky, 28 Jahre alt.

Waletsky: „Ich kann redn Yiddish, Yiddish kann ich redn… I speak literarische Yiddish.“

Muttersprache: Klassisches Jiddisch in seiner Warschauer Ausprägung, erste Fremdsprache: Englisch. In New York sei so etwas doch normal, findet er. Ständig nutzen er und seine Freunde jiddische Worte und Satzfetzen im Alltag, etwa, wenn man unter die Gürtellinie geht und jemanden mit genau diesem Körperteil benennt…

Waletsky: „what a patz… Oder wir sagen zum Beispiel: schlep to that place. Das heißt: man rafft sich auf und geht irgendwo hin. Gestern allerdings habe ich mit meinem Vater auf Jiddisch telefoniert. Da habe ich gemerkt: Bei Computerthemen muss ich Englisch sprechen. Im Jiddischen nämlich fehlt mir da das Vokabular!“

Religiös ist David nicht, und passt damit in die kleine, aber starke Minderheit liberaler New Yorker Juden. Auch in seiner Familie gab es politisch links eingestellte Mitglieder, die sich im sozialistischen „Bund“ engagierten. Das Interview gibt David am jüdischen Feiertag Rosh Hashana. Ständig gerät er in der U-Bahn an missionierende Juden, mit denen er dann in Wortgefechte über Gott und die Welt gerät, sogar auf Jiddisch.

Waletsky: „Viele amerikanische Juden meinen, Jüdisch bedeute nur: die religiöse.Tradition bewahren. Es ist ganz anders. Jüdisch kann ethnisch, religiös, aber vor allem sprachbezogen sein, eben Jiddisch. . Hätte ich Kinder, würde ich Jiddisch mit ihnen sprechen. Meine Vorfahren haben das 1000 Jahre getan. Es gibt jiddische Leute, die erziehen ihre Kinder nicht in Jiddisch. Ich habe schon als Kind gelernt, dass das wie ein totaler Betrug wäre!“

Junge Musiker wie Daniel Kahn oder Jewlia Eisenberg hört man in diesen Kreisen, oder jiddische Rapper wie „Socalled“ aus Montreal. Und ist auch sonst relativ weit  links eingestellt: Homepages wie Orthodox Anarchist lesen einige seiner Freunde, er allerdings weniger, sagt David. Und für Jenny Romaine ist Jiddisch deshalb so schön, weil es eine Sprache ohne Armee ist. Jiddisch symbolisiert eine fortschrittliche, verstreute jüdische Kultur, im Gegensatz zum monolithischen Zionismus, der immer noch ein Zentrum des Judentums wünscht.

Romaine: „Es gibt diesen jiddischen Spruch ‚Schlofn in Goyles‘. Das heißt in etwa: Es im Exil aushalten. Aber ich lebe gerne in der Diaspora, ich habe doch die Gelegenheit, unter vielen interessanten, unterschiedlichen Juden zu leben. Obwohl ich finde, dass Israel ein unglaublich interessanter Teil der jüdischen Diaspora ist.   O je, wenn man das Israelis sagt, gehen die an die Decke… Dort wu wir lebn, dort is unser land.“

(für das Neonlicht im Deutschlandradio Kultur)