Margaret Atwood ist hierzulande für Dystopien und Science Fiction bekannt, nicht aber für ihre Lyrik. Ein neuer Sammelband des Berlin Verlags möchte das nun ändern.

( Hier gibt es noch ein Kritikergespräch im SWR2 Lesenswert Magazin zu hören.)

Margaret Atwood ist ab 1985 durch ihren Roman „Der Report der Magd“ zu einem weltweiten Star geworden. Eine Dystopie, die die Unterdrückung der Frau beklemmend durchbuchstabiert, fortgeschrieben in „Die Zeuginnen“, verfilmt und als Serie in Szene gesetzt. Deshalb wird sie gerne als Romanschriftstellerin wahrgenommen, gerne noch als Verfasserin von Erzählungen, dabei hat Atwood parallel ein umfangreiches lyrisches Werk geschaffen; fast 20 Gedichtbände sind seit den Sechziger Jahren mittlerweile auf Englisch erschienen. Der Berlin Verlag hat nun Gedichte aus 10 Bänden ausgewählt und von namhaften deutschen Dichtern übersetzen lassen.

Diese Übersetzungen kommen eigentlich Jahrzehnte zu spät. Zudem scheint ein schwieriges Unterfangen, ein fast zwanzigbändiges Lyrikwerk erst auf zehn Quellen aus dreißig Jahren zu reduzieren und daraus dann die typischsten und stärksten Texte zu filtern und von deutschen Lyrikern übersetzen zu lassen. Der Berlin Verlag hat genau das getan und herausgekommen ist ein kleines Kunstwerk.

Nun kann Lyrik dem Prosa-Liebhaber bisweilen unzugänglich erscheinen, womöglich auch den Fans von Atwoods Science-Fiction-Romanen? Nein, denn die Texte haben oft eine klar artikulierte, politische Dimension.

„Wozu den Irrglauben stärken,
es gäbe eine tugendhafte Armut?
Das ist nichts als eine Ausrede
für null Barmherzigkeit.
Hunger macht ruchlos, und vollkommener Hunger
macht vollkommen ruchlos,
oder beinahe. […]“

…heißt es etwa im titelgebenden Gedicht „Die Füchsin“, in dem das lyrische Ich auf einem Friedhof ein abgemagertes Tier auf Raubzug beobachtet. Überhaupt definiert Atwood die Naturlyrik um in eine engagierte Poesie, die schon früh auf die Umweltzerstörung aufmerksam macht.

„Manchmal träumen die Tiere auch Böses,
in der Form von Seife und Metall“

Sehr oft geht es um den Gegensatz zwischen Zivilisation und Natur, und gerne dekliniert Atwood das an der kanadischen Wildnis durch. Diese ist längst eingehegt, und scheint gerade gegenüber der mythologisch angereicherten, alteuropäischen Natur zu einem prosaischen Rohstofflager verkommen.

Gerne verschränkt Atwood ihre Sujets auf mehreren Ebenen: So ist Kanada ambivalent Thema in seiner Doppelidentität aus angelsächsischer und frankokanadischer Tradition. Manche Gedichte wirken, als habe Atwood die Nationalpsyche auf die Analysecouch gelegt, allerdings lassen sie sich oft gleichzeitig als intime Beziehungsanalysen verstehen.

Denn auch das sind Leitmotive: Die Beziehungen der Geschlechter, Liebe, Abhängigkeit, Kampf.

„Wenn ich dich liebe
ist das eine Tatsache oder Waffe?“

Atwood zeigt hier die gesamte Spannbreite von den kleinen Feindseligkeiten im Alltag bis hin zur Folterung von Frauen in ein paar besonders drastischen Gedichten. Demgegenüber stehen wiederum sehr subjektive, innerliche Texte zum Krebstod ihres Vaters oder auch zum Älterwerden, die sich einschreiben in eine Gruppe von Meditationen zu Vergänglichkeit, Zeit, Sterben, Abschiednehmen. Dann wieder erkundet Atwood ganze Motivkreise in Gedichtzyklen zu Großmüttern, Schlangen oder zu Odysseus, Orpheus, oder zur schönen Helena. Manches Gedicht mag erklärtermaßen einem Augenblick entsprungen sein; diese komplexeren Texte zeigen, wie sich Atwood ganze Felder von Worten, Bedeutungen und Mythen erschließt und dann alles verdichtet. Hier neigt die Autorin zur barock-paradoxen conclusio:

„Ich kann dich gar nicht verlieren
weil du schon verloren bist.“

Manches wirkt manieriert, etwa sehr bedeutungsaufgeladene Zeilensprünge und manche arg geraunte Weisheit:

„Wohin verschwinden Worte,
nachdem wir sie gesagt haben?“

Die Übersetzungen, unter anderem von Ann Cotten, Alissa Walser, Kerstin Preiwuß, Ulrike Draesner und Jan Wagner, überführen die Texte behutsam und gelungen ins Deutsche. Die alltägliche Sprache trifft hier das Original und auch den Ton, der je nach Gedicht melancholisch, aufgerüttelt, hoffnungsfroh, sarkastisch oder ironisch sein kann:

„Männer und ihre schwermütige Romantik,
bei der es nicht drin ist, Geschirr zu spülen -“

So zeigt der Band die vielgestaltige Lyrik in Margaret Atwoods reichem Werk. Es ist wirklich schade, dass „Die Füchsin“ nur bis zum Jahre 1995 reicht. Denn just in ein paar Wochen erscheint ein Gedichtband, der sicher noch mehr Menschen für die Lyrik interessieren könnte, gerade auch die Fans von Margaret Atwoods Science Fiction: In „Dearly“ nämlich, hat die Autorin angekündigt, soll es um Werwölfe und Aliens gehen!

Rezensiert für das Journal am Morgen in SWR2.

Margaret Atwood: Die Füchsin. Übersetzt von Ann Cotten, Ulrike Draesner, Dagmara Kraus, Elisabeth Plessen, Christian Filips, Kerstin Preiwuß, Monika Rinck, Jan Wagner und Alissa Walser. 416 Seiten kosten 40 Euro.