Jörg Lauster führt kenntnisreich durch die Wirkgeschichte der Idee vom heiligen Geist, überschreitet aber so manches Mal die Grenzen des Erkennbaren. Liegt das schlicht am Wesen der Theologie?

Der evangelische Theologe Jörg Lauster, geboren 1966, ist Professor für Systematische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Gastprofessuren haben ihn schon nach Venedig, Rom und Chile geführt. So weit gereist Lauster ist, so atemberaubend ist auch sein theologischer Horizont: Nichts weniger als eine Biografie des heiligen Geistes will er in seinem neuesten Buch vorlegen, das dementsprechend heißt: „Der heilige Geist“.

Der Autor hat ein Faible für Buchprojekte, über die hinaus nichts Größeres gedacht werden kann: Eine hochgelobte, über 700 Seiten starke Kulturgeschichte des Christentums schrieb er schon mit „Die Verzauberung der Welt“.

So ist es nur konsequent, dass Lauster nun das abstraktere Wirkprinzip hinter all dem zum Thema macht: den heiligen Geist, und zwar von seinen frühesten Erwähnungen im Alten Testament bis heute. Um es vorwegzunehmen: Das bereitet ein gespaltenes Vergnügen. So erhellend und geistreich Lauster schreibt, so wackelig sind am Ende die Prämissen des Buches.

Ein erkenntnisreicher Lesegenuss ist das Buch überall dort, wo es Religions- und Kulturgeschichte vermittelt. Durch die Zeiten verfolgt Lauster, wie sich die Idee vom heiligen Geist den Betroffenen zeigte, ob als Geist der Gemeinde, als Charisma im Urchristentum, in frühneuzeitlichen Utopien, als Geniekult, als künstlerische Inspiration, als ekstatisches Pfingstlertum bis heute. Hegels Weltgeist oder Blochs Prinzip Hoffnung erweisen sich, wie so manches in unserer angeblich so durchsäkularisierten Moderne heute, als zutiefst vom Christentum geprägt.

Lauster ist ein liberaler protestantischer Theologe in der Tradition von Ernst Troeltsch und Rudolf Harnack, die er gerne zitiert. So erwähnt Lauster ständig die Spannung zwischen dem Geist des Christentums und der Institution Kirche, die er durch die Blume als starr kritisiert. Im Christentum könne der heilige Geist, der ja Männer wie Frauen gleichermaßen überkommen kann, für mehr Emanzipation sorgen, hofft Lauster. Und er weise in die Zukunft eines begeisterten, weltweiten Christentums, das sich von leeren Kirchen in Europa nicht verzagen lasse.

Mit mehr als 400 Seiten ist das Buch nicht knapp geraten, aber auch keine Enzyklopädie. Der Schwerpunkt liegt in Antike, Mittelalter und Renaissance, während spätere Kapitel zunehmend Schlaglichter zu heutigen ekstatischen Pfinstbewegungen oder leuchtenden Beispielen wie Mutter Theresa und Albert Schweitzer oder neuesten Geist-Theorien und Kosmologien sind.

Je weiter man liest, desto mehr unterschwellige Verwirrung mischt sich in den Lesegenuss. Denn es bleibt unklar, was am Ende all die sehr unterschiedlichen beschriebenen Phänomene zusammenhält. Ist es allein das Wort Geist, spiritus, pneuma, befinden wir uns im „Archiv für Begriffsgeschichte“? Die Unklarheit, was der heilige Geist denn nun sei, schlägt dann um in das Faszinosum des Numinosen:

So wie Jesu Botschaft schon früher bei Lauster von keiner Kirche voll in die Praxis umgesetzt werden konnte, so geht auch der heilige Geist im neuen Buch in keinem konkretisierten Christentum auf.

Lauster selbst schreibt: „Es gehört zum Wesen des Geistes, dass er sich so wenig festhalten lässt wie der Wind.“ Im Klartext: der heilige Geist ist eben nichts als eine Hypothese ganz ohne Belege. Schon früher hat der Autor dem Christentum einen Evidenzmangel attestiert, den es stets zu verdrängen sucht. Kurioserweise zieht sich diese Bewegung genauso durch dieses Buch.

Mal heißt es noch sehr transparent, etwas „ließe sich“ als das Wirken des heiligen Geistes verstehen. Später lässt sich Albert Camus’ Widerstand gegen das Absurde als ein Zeichen der Gegenwart des heiligen Geistes begreifen – womöglich dreht sich der Agnostiker Camus gerade im Grabe um. Und wenn im Mittelalter Joachim von Fiore, wohlgemerkt, spekuliert (!), Gott lenke die Geschichte mit der Kraft des heiligen Geistes, so nennt Lauster das plötzlich eine „Entdeckung“. Mit einem guten Schuss heiß ersehnter Teleologie und Anthropomorphismus riskiert Lauster zum Schluss „ein Leben in der Ahnung, […] dass mit dieser Welt etwas gewollt und gemeint ist.“ Im Gegensatz zum Beispiel zur Evolutionstheorie, die er als bloßen Prozess des Zufalls karikiert.

Es ist der gute, alte Zirkelschluss: Man kann die antiken und reichlich antiquierten Vorstellungen von Wüstenvölkern aus der Kindheitsepoche der Menschheit als Indizien für etwas nehmen und alles Kommende daraufhin auslegen, muss es aber nicht. Wenn Menschen, zumal ausnahmslos aus der christlichen Tradition, meinen, den heiligen Geist zu fühlen, bleibt das eine Interpretation.

Es befremdet, wenn der Autor Hirnforschern gleichzeitig vorwirft, die Grenzen ihres Wissens zu überschreiten. Es wäre schön gewesen, hätte Lauster nicht vom Wirken des heiligen Geistes, sondern vom Wirken der Idee des heiligen Geistes geschrieben. Ein feiner, aber wichtiger Unterschied. So viel Ehrlichkeit und Demut sollte sein.

Jörg Lauster: Der heilige Geist. Eine Biografie. Erschienen bei C.H. Beck. 431 Seiten kosten 29 Euro 95.

Für begrenzte Zeit in der Lesenswert Kritik auf SWR2 nachhörbar.