Adam Davies wurde hierzulande durch sein Buch „Froschkönig“ bekannt, in dem ein junger Mann fremdgeht, von seiner Freundin verlassen wird und mit dem darauffolgenden Chaos klarkommen muss. Ein wenig mag dieser Held auch an das neue Buch erinnern: Auch hier begegnen wir einer leicht angeknacksten Beziehung und vielen Figuren mit Alkoholproblemen. Davies allerdings sagt, dass „Goodbye Lemon“ sein bisher biographischstes Buch ist. Es durchleuchtet eine dunkle Familiengeschichte, wobei der Erzählton kreativ bis ironisch ist. Pascal Fischer hat in New York mit Adam Davies gesprochen.
„Die Erinnerung kann einem im Leben Halt geben, wenn einem alles genommen wurde. Ich wollte erforschen, wie jemand mit dem Diebstahl von Erinnerung klarkommt. Und wie die Erinnerung einen zu einem ganz anderen Menschen machen kann. Meine Hauptfigur Jack liebt seinen verstorbenen Bruder, aber hat keinerlei Erinnerung an ihn. Er trauert um jemanden, den er nie gekannt hat. Er stellt sich vor, wie er ausgesehen hat!“
Jack Tennant ist eine gebrochene Figur. Noch immer hat er nicht verwunden, dass sein kleiner Bruder Dexter, genannt Lemon, in der Kindheit in einem See ertrunken ist. Offenbar hat der Vater damals nicht gut genug aufgepasst, was Jack ihm Jahrzehnte später nicht verzeihen kann. Das alles erfährt der Leser – trotz eines Ich-Erzählers – erst nach und nach. Denn Jack hat jeglichen Kontakt zur Familie abgebrochen und scheut sich, die Geschichte seiner Freundin Hahva und dem Leser preiszugeben. Ein überaus gekonnter erzählerischer Kniff: Jacks Widerstand beim Erzählen verleiht dem Familientrauma, aber auch Jacks Liebe zu Hahva eine glaubwürdige Tiefe.
„Als Jacks Vater einen Schlaganfall erleidet, bittet die Mutter Jack, nach hause zu kommen. Er willigt ein, aber eigentlich will er den Vater bestrafen. Denn nun ist der hilflose Vater zum Zuhören verdammt. Ich wollte erforschen, wieviel die Liebe hier verändern kann. Jack ist verrückt nach seiner Freundin, aber erzählt ihr keinerlei von seinen Familiengeheimnissen. Das muss er lernen.“
Das allein würde das Buch nur zu einem weiteren Coming-of-age-Roman eines Über-30jährigen Amerikaners machen. Lesenswert ist das Buch wegen Jacks einzigartiger Stimme: Selbst im Groll gegen den Vater ist Jacks Sarkasmus liebenswert kreativ und beschreibt Familienangelegenheiten als Reise „in einem benzingetränkten Schlüpfer zur Hölle“. Jack kann sich oft nur beruhigen, indem er sich US-Präsidenten oder chemische Elemente aufsagt. Am Ende von Kapiteln rekapituliert Jack den Punktestand zwischen sich und dem Haus seiner Kindheit – als ginge es um ein Fußballspiel. Alle diese ans Absurde grenzenden Ausschmückungen machen die Geschichte nicht nur intelligent und unterhaltsam, sondern auch seltsam glaubhaft.
„Jack als Figur hat das in das Buch eingebracht. Detailgenauigkeit ist für mich ein Zeichen von Liebe. Man muss seine Figuren lieben, und Details sind sehr wichtig dabei. Ich hoffe, es ist tief menschlich, so dass sich die Leser damit identifizieren können. Unglücklicherweise sind ja alle meine Erzähler ziemlich beschädigt. Aber über solche Menschen möchte ich eben schreiben!“
(für NDR Kultur)