Gelungene Lebensentwürfe waren das Thema ihres letzten Sachbuchs, in dem sie mit erfolgreichen Frauen sprach. Doch nun ist Thea Dorn zu ihren schriftstellerischen Wurzeln in die Belletristik zurückgekehrt und serviert uns einen Krimi-Schocker, in dem es eher um gescheiterte Leben geht: Im Buch „Mädchenmörder“ erzählt eine junge Frau, wie sie von einem Serienmörder entführt wird und eine unbegreifliche Beziehung zu ihm aufbaut. Was wie eine publicitywirksame Verarbeitung des Falls Natascha Kampusch wirken könnte, hat Thea Dorn in Wirklichkeit schon lange vor Bekanntwerden dieses Falls aus Österreich konzipiert. Pascal Fischer hat mit der Autorin über ihr neues Buch gesprochen.
Thea Dorn: „Es war mir von vorneherein klar: Das wird kein Genrekrimi. Auf den klassischen Spannungseffekt – wird sie es überleben, oder nicht? – setze ich nicht. Die Spannung erzeugt sich eher über meine Ausgangsfrage: Was um Gottes Willen ist passiert zwischen beiden?“
Julia ist eine Einser-Abiturientin, die eines Nachts nach einer Party an einer Kölner Haltestelle auf ihren Bus wartet. Da fährt im limonengelben Porsche David vor, der Julia betäubt, in den Wagen zerrt, um sie in seinen privaten Folterkeller zu werfen. In den nächsten qualvollen Stunden begreift Julia, dass sie das Mord-Opfer eines extrem sadistischen Serienkillers zu werden droht. Doch David scheint seltsam fasziniert von ihr und tötet sie nicht, sondern nimmt sie mit auf eine blutige Odyssee quer durch Europa. Julia wird Zeugin weiterer grausamer Morde, denn sie flüchtet nicht. Hat sie eine andere Wahl? Mehrmals listet sie ihre Handlungsoptionen auf. Das ist mehr als ein Aufguss des „Stockholm-Syndroms“, das ist tiefster Krimi-Existentialismus.
Thea Dorn: „Man darf den Lesern ruhig etwas zumuten. Ich will kein Kaffeekränzchen. Jeder, der einen Schicksalsschlag erlebt hat, fragt sich: Warum lässt Gott das zu? Der Täter ist noch perverser und sagt: Guck mal, ich kotze Dir vor Deine Tür, und Du stoppst mich nicht.“
Die Boulevardblätter argwöhnen, dass Julia mitgemordet hat. Dagegen wehrt sie sich mit ihrer Schilderung der Ereignisse im ersten Teil des Buches. Ständig umkreist Julia die Frage, wie sich ihr Martyrium überhaupt erzählen lässt. Was Thea Dorn hier alles einfällt, erhebt das Buch sichtlich über gängige Krimikonventionen: Mal blendet Julia die Scheußlichkeiten aus, mal schildert sie alles als Gleichnis, mal beobachtet sie sich aus der Ferne.
Thea Dorn: „Ich bin ja keine Provo-Autorin. Ich will eine Geschichte, die eine Stimmigkeit und eine innere Wahrheit hat. Daher war klar: Das wird nicht Tarantino-Style, lustig runtergeschriebene Metzelszenen, sondern da wird um jede Szene, in der Gewalt beschrieben wird, auch gerungen.“
Im Vergleich zu Dorns früheren Büchern mag das weniger drastisch sein, überaus grausam geht es dennoch zu. Schier unglaublich, wie die Autorin den Leser mit allen Sinnen in einen faszinierten Bann schlägt: Vom Geruch des Angstschweißes im Folterkeller bis hin zu Motels in Spanien beschreibt Dorn detailreich und treffsicher.
Das sind offenbar die Früchte einer exzessiven Recherche, in der die Autorin die gesamte Strecke dieses literarischen Roadmovies selbst abfuhr – nach Lektüre einschlägiger, ähnlicher Kriminalfälle.
Richtig unheimlich wird es im zweiten Teil, wenn immer klarer wird, dass Julia vielleicht doch Mittäterin war – auf ihre ganz eigene krankhafte Weise.
Thea Dorn: „Ich glaube nicht, dass diese Frau eine so hohe eigene sadistische Energie hat, dass die jemals eine Straftat begangen hätte, wenn sie nicht an diesen Kerl geraten wäre. Ich habe viel recherchiert über gewalttätige Paare, und da ist der Klassiker, dass sie brutaler ist, aber der auslösende Funke kommt von ihm. Also das gibt es tatsächlich nicht ganz selten, solche Kombis…“
Was, wenn eine bemitleidete Figur zum Monster wird? Ehe man Julia seine Sympathie entziehen kann, verwandelt sich die Angstlust des Lesers in Mordlust. Grandios, intelligent und Angst errend irre zugleich, wie dieses Buch einen in den eigenen nihilistischen Abgrund reißt.
(für NDR Kultur)