Unglaubliche 53 Millionen Franken erbeuteten die berüchtigten Posträuber von Zürich 1997. Schnell saßen sie alle hinter Gitter, nur Bandenmitglied Domenico Silano schaffte es, mehrere Monate in Italien und Amerika unterzutauchen, bevor man ihn fasste. Er galt als der Philosoph der Bande. Wohlan, schauen wir, welche Weisheiten er uns in seinem Buch darbringt.
2009 hat Domenico Silano zum „Jahrhundertpostraub“ ein gleichnamiges Buch veröffentlicht, zusammen mit dem Co-Autor Patrik Maillard. Für den kleinen Züricher Salis-Verlag war das Buch ein Bestseller, uns liegt die 3. Auflage vor, leider ist das Buch mittlerweile nur noch gebraucht zu kaufen. Es spart schon in seinem Anfangsmotto nicht an… Gravitas:
„Dem anwachsenden Vermögen folgt die Sorge. Horaz, römischer Dichter, 65 – 8 vor Christus“
So abwegig ist ein wenig schriftstellerischer Größenwahn gar nicht. Silano betont, ganz wie Horaz stamme er aus Venosa, damals Venusia in Süditalien. Und schließlich kennt die Kulturgeschichte viele Figuren, die wegen ihrer Gebrechen oder erlebten Extremsituationen angeblich die unverstellte Wahrheit der menschlichen Existenz schauen: blinde Seher, Wahnsinnige, saufende und herumhurende Sünder, die zu Kirchenvätern werden wie der heilige Augustinus. Warum nicht auch ein geläuterter Posträuber? Man lese und staune: Mal warnen Silanos Sentenzen vor zu schneller Freude…
„Dabei weiß jedes Kind, dass so manche Fußballelf, die den Sieg schon in der Tasche zu haben glaubte, den Rasen doch noch als Verlierer verließ. Ich aber setzte alles daran, zu gewinnen. Denn das hier war die Partie meines Lebens.“
…mal klingt alles wie die Conclusio eines Barockgedichts…
„Wer heute in höchsten Höhen fliegt, liegt morgen am Boden im Dreck.“
„Das Geld hatte mir nicht nur kein Glück gebracht, sondern mich in den Abgrund gezogen.“
Pointierte Sätze! Aber ziemlich fließend sind sie dann doch, die Grenzen zwischen der Weisheit, dem Willen, sein Leben zu ändern und der bloßen Rechtfertigung eines Verbrechens.
So betont Silano einmal, nicht mit Drogen dealen zu wollen, so wie ein Zellengenosse in der Untersuchungshaft, weil so etwas nur „Gift, Elend und Tod“ bringe – dafür habe er nur Verachtung übrig.
„Verglichen mit Mafia-Angelegenheiten war meine Geschichte nur ein Tropfen im Ozean.“
Silano zeichnet seinen Weg als einen vom Verbrecher zum Einsichtigen. Mehrfach schreibt er, dass er in den vier Minuten des Raubes unendlich viel zerstört und verunmöglicht habe, allem voran seine Traumhochzeit mit der Freundin. Er sieht dabei sich, so wie alle Menschen, als determiniert durch das Umfeld an:
„Wenn immer mich jemand fragt, ob ich denselben Weg noch einmal gehen würde, wenn sich das Rad der Zeit zurückdrehen ließe, dann sage ich Ja. Weil es für mich damals gestimmt hat, für den […], der ich zu jenem Zeitpunkt war.“
Das Buch erzählt die Flucht als eine Reise zum Eigentlichen: Domenico Silano wird dabei die Schalheit seines Lebens immer deutlicher. So feiert er in Florida wilde Partys in der Villa eines neureichen Freundes, Steve.
„Doch die Oberflächlichkeit der Konversation und der häufig zynische Umgangston näherten meine Zweifel, ob ein solches Leben überhaupt erstrebenswert war.“ / „Durch intensive Beschäftigung mit moralischen Fragen erkannte ich, dass mein Denken zu materialistisch war.“
Er habe seine Freundin vermisst, den Kontakt wieder aufgenommen und damit seine Verhaftung fast willentlich herbeigeführt. Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit? Rolf Jäger, der oberste Ermittler damals, sagt der Neuen Zürcher Zeitung: Gesehnt habe sich Silano nach seiner Verhaftung ganz sicher nicht! Außerdem gibt der Täter selbst noch im Buch zu, gegenüber den Ermittlern in der Haft gemauert zu haben. Er möchte es sich auch draußen mit keinem Helfershelfer verscherzen. Noch ein Bonmot gefällig?
„Niemanden zu verraten, betrachte ich als Lebensversicherung mit Kapitalrückstellung.“
Vielleicht ist es eher so: Silano ist ein Meister des positiven Denkens. Ständig ändert er die Erzählung seines Lebens, zu jedem Zeitpunkt will er stets das Beste aus allem machen, manchmal mit Witz. In der Untersuchungshaft legt ihm ein Ermittler nahe, sein ganzes Wissen auf den Tisch zu legen und mit den Behörden zu kooperieren. Sonst werde Silano die besten Jahre seines Lebens verlieren. Silano bemerkt trocken, dass der Ermittler selbst schon auf die vierzig zugeht, und sagt ihm keck ins Gesicht:
„Dann hättest Du die beste Zeit schon hinter Dir. Ich glaube nicht, dass das vom Alter abhängt, sondern von der Einstellung zum Leben und von der Gesundheit.“
Ja, Domenico Silano bekennt, mit der Vergangenheit brechen zu wollen; den verschwundenen Anteil an der Beute aufgegeben zu haben. Er macht sich sogar Gedanken über das Gefängnissystem und resümiert nüchtern, es bessere Menschen nicht, sondern sei eine einzige „Jobbörse für illegale Aktivitäten“.)
Aber dann wird er bekanntlich 2014 doch noch einmal in Zürich verurteilt: er soll einen Überfall geplant, wenn auch nicht ausgeführt haben. Zwei Jahre später weist ihn die Schweiz aus.
„Jeder muss früher oder später für seine Sünden geradestehen. Auch Du. Vergiss das nie!“
…hat er selbst einst einen Helfershelfer ermahnt. So lässt sich resümieren: Er ist tatsächlich Philosoph gewesen. Aber nur im Vergleich zu seinen eher unphilosophischen Räuberkollegen. Und der unbedingte Wille zur Wahrheit war wohl bei den eigenen „Bekenntnissen“ etwas schwach…