Der erfolgreiche Drehbuchautor Clemens Murath legt mit „Der Libanese“ einen beinharten Schocker voller Brutalität, Drogen, Sex und kaputte Beziehungen vor – ein Buch mit manchem Tabubruch als Gesellschaftskritik.

Der Berliner Clemens Murath ist bislang als Drehbuchautor in Erscheinung getreten und hat Geschichten für Abendkrimis in der ARD, im ZDF oder auch auf RTL erdacht, die durchaus mit Preisen ausgezeichnet worden sind. Nun hat Murath seinen ersten Roman vorgelegt: „Der Libanese“ spielt in der Hauptstadt, im Milieu des organisierten Verbrechens, und das Buch ist keine leichte Kost:

Alles spielt in Berlin, irgendwann in der Gegenwart: In der Hauptstadt ist ein Mafia-Krieg entbrannt: Libanesische und albanische Familien kämpfen um die Vorherrschaft im Drogenhandel, erpressen im Zuge dessen Politiker, Banker, sogar Richter. In dieser aufgeheitzten Stimmung macht das Team um den Drogenfahnder Frank Bosmann eine Razzia. Dabei erschießt Bosmann einen Dealer, ohne in einer Notwehrsituation zu stecken. Die junge Studentin Nikki hat alles beobachtet, könnte zwar gegen Bosmann aussagen, fängt aber stattdessen an, ihm lüstern nachzustellen.

Das ist nur eine Ebene der Komplikationen in Clemens Muraths Thriller „Der Libanese“ – zahlreiche werden folgen. Verschwundenes Geld, Konten in der Karibik, Entführungen, Folter, Sexorgien – Fans von Drastik kommen wahrlich auf ihre Kosten. Das ästhetische Programm des Romans lässt sich auch so beschreiben, wie Studentin Nikki es in einem Drehbuchkurs gelernt hat, Zitat: „In jeder Szene gibt es eine Hierarchie, jedenfalls, wenn sie gut geschrieben ist, dann gibt es immer einen Jäger und einen Gejagten, und das bringt mich zum Punkt.“

So auch hier. Kaum eine Szene, in der nicht irgendjemand den Einsatz erhöht oder eine Überraschung bereithält. Dazwischen: schnelle, harte Schnitte von einer Szene zur nächsten, parallel erzählte Kalamitäten, die sich untereinander maximal bösartig verwickeln. Kein Zweifel, nach über dreißig Drehbüchern beherrscht Clemens Murath seine Krimi-Plots bravourös.

Wozu nach guter alter Schule auch gebrochene Figuren gehören: Frank Bosman beispielsweise hat schon als Schüler gedealt, vertickt auch heute noch konfiszierte Drogen und finanziert damit wiederum ein Sozialprojekt.

Nicht weniger ambivalent sind die anderen Figuren: Harry, ein Filmproduzent mit Schulden bei der Mafia, hat eine Affäre mit einer Prostituierten…. Harrys Frau Helen wiederum, erfolglose Schauspielerin, gönnt sich eine Bettgeschichte mit ihrem Yogalehrer und Gärtner. Natürlich ist das ein heißer Latino – so manches Klischee irrlichtert dann doch im Buch herum. Dann wieder zeichnet Murath in wenigen Strichen treffend ganze Milieus, etwa den Prolo-Chic feministischer Studentinnen oder den Alltag einer libanesischstämmigen Großfamilie.

Über einen bloßen Krimischinken hinaus geht der Roman durch die Reizthemen, die er anspricht: Die Studentin Nikki etwa giert nach dem harten, muskulösen Cop Frank Bosmann, sie will unterworfen werden – und wirft dafür ihren Feminismus über Bord. Da hilft es auch nicht, wenn ihre Mitbewohnerin Luisa den Polizisten als „alttestamentarisches Patriarchat in Reinform“ abkanzelt.

Überhaupt haben Freund*innen der Identitätspolitik und political correctness ziemlich zu schlucken an diesem Buch. Hier gibt sich der afghanische Flüchtling Hamedi fälschlicherweise als sensibler, transsexueller Syrer aus, um eine linke Initiative für sich einzuspannen – das hat ihm sein Anwalt im Asylverfahren geraten! Immer wieder gibt es im Buch kleine, gemeine Nadelstiche gegen eine angeblich zu lasche Polizei und Justiz, gegen Emanzipation und Multi-Kulti. Aber im Kern will das Buch klar ein Schocker sein – und keine engagierte Literatur.

Die Sprache ist deshalb auf das Nötigste reduziert wie ein skelettiertes Mafiaopfer im Säurebad. Die Welt hier ist grundsätzlich schlecht, dazu gibt es ein paar Verweise auf den Marquis de Sade oder Foucault und Kafka, aber das ist bloßes Namedropping; alles Andere würde die Handlung nur unnötig aufhalten. Alles liest sich wie ein Drehbuch: filmisch und faszinierend die Einfälle, aber die Innerlichkeit der Figuren lässt es fast beiseite – vergleichbar mit einem Nick-Tschiller-Tatort mit Til Schweiger.

Der Plot stürmt manchmal sogar dermaßen voran, dass unfreiwillige Komik entsteht. Da kommt etwa eine Figur aus den Händen von brutalen Häschern frei, trifft einen weiteren Erzfeind, und sagt nur: »Hey, ich war in Geiselhaft, ich wurde gefoltert, […] Gib mir fünf Minuten, okay?«.

Die fast 500 Seiten bieten eigentlich Stoff für zwei Thriller und sind in ihrer Atemlosigkeit selbst für den Rezensenten, einen bekennenden Adrenalin-Junkie, fast nicht in einem Rutsch zu bewältigen. Bei „Heyne Hardcore“ ist dieses Buch goldrichtig, im Bücherregal des zart besaiteten Mainstreams eher nicht.

Clemens Murath: Der Libanese. Erschienen bei Heyne. 480 Seiten kosten 16 Euro.

Der Beitrag ist für begrenzte Zeit nachhörbar auf den Seiten der SWR2 Lesenswert Kritik.