Eine Hundezuchtfarm, ein stummer Junge und ein Mord: Mit diesen Zutaten gelang David Wroblewski ein Bestseller, obwohl er vorher nur ein paar Kurzgeschichten geschrieben hatte. Mehr als 10 Jahre brauchte der Autor, um das Manuskript fertigzustellen. Das jahrelange Feilen lohnte sich: Noch immer jettet David Wroblewski von seiner Heimat Colorado aus durch die USA und stellt sein Buch vor – ungewöhnlich lange, ist das Erscheinungsdatum in den Vereinigten Staaten doch schon einige Zeit her. Nun erscheint das Buch auch in Deutschland. Pascal Fischer hat David Wroblewski in New York getroffen.
Edgar ist vierzehn Jahre alt und wächst im ländlichen Wisconsin auf der Farm seiner Eltern auf. Die betreiben – genauso wie schon die Großeltern – eine Hundezucht. In der Umgebung haben die Sawtelles lokale Berühmtheit erlangt, sind ihre Tiere doch besonders klug und folgsam. Auch Edgar trainiert die Vierbeiner fleißig – nichts Selbstverständliches, da der Junge seit seiner Geburt stumm ist. „Boy meets dog“ – manchen Leser dürfte die Grundkonstellation des Romanes abschrecken. Autor David Wroblewski:
„An der Diskussion über Bücher, in denen Hunde oder überhaupt Tiere vorkommen, stört mich vor allem, dass solche Bücher im 20. Jahrhundert automatisch als Jugendbücher angesehen wurden. Deshalb wollte ich dieses Buch schreiben. Es ist eine Geschichte über einen Jungen und seinen Hund, aber für Erwachsene. Ich wollte sie so schildern, wie ich es sonst nirgendwo gelesen habe.“
In diesen epischen Roman kann der Leser über mehrere Wege hineinfinden, und einer ist ein alter Familienstreit zwischen zwei verschiedenen Söhnen, Edgars Vater Gar und Edgars Onkel Claude. Während Gar immer verantwortungsvoll war und schließlich die Zuchtfarm übernahm, trank Claude gerne und liebte Hundekämpfe. Er ging in den Koreakrieg, und schließlich kehrt er als Tagelöhner auf die Farm zurück. Hier wird das Buch nicht nur zu einem literarischen Krimi, sondern zu einer Art amerikanischer Hamleterzählung: Eines Tages findet Edgar seinen Vater tot in der Scheune, niemand weiß, woran er starb. Edgars Mutter scheint mit der Farm allein überfordert, holt sich Hilfe von Claude und teilt bald das Bett mit ihm. Schnell allerdings findet Edgar Hinweise darauf, dass Claude seinen Vater aus Habgier und Neid getötet haben könnte.
„Shakespeares Tragödien sind eine Quelle für meinen Stoff, vor allem Hamlet. Aber auch Elemente von Macbeth oder Romeo und Juliet. Ich wollte diese Stoffe als Material nehmen und sie in eine neue, zeitgenössische Umgebung überführen und eine Palette von Techniken einsetzen.“
Eine solche Idee ist nicht unbedingt neu. 1991 etwa ließ Jane Smileys Roman „Tausend Morgen“ den Stoff von „König Lear“ im ländlichen Iowa neu aufleben und erhielt den Pulitzerpreis. Viele Lobeshymnen in den USA verwiesen zu Recht auf diese literarische Vorgängerin. Wroblewskis Roman meistert stellenweise sogar den schmalen Grad des Phantastischen, aber Glaubhaften: Wie in Hamlet erscheint auch hier der Geist des Vaters dem Sohn und deutet an, wo der Mörder das Gift versteckt hat. Durch das gesamte Buch steigert Wroblewski unaufhaltsam eine kaum fassbare, bedrohliche Atmosphäre. Abwechselnd schildert er aus der Perspektive von Edgar, seiner Mutter, Claude – ja, sogar aus der von Hunden!
„Schriftstellerisch ist das schwierig: Man muss dem Hund menschliche Eigenschaften geben, aber er sollte immer noch von einem Menschen zu unterscheiden sein. Für meinen Geschmack wäre es zuviel, wenn der Hund reden könnte! Also stelle ich seinen Gedankenfluss dar: Weniger geradlinig, nicht so rational, eher wahrnehmungsbasiert.“
Wroblewski beweist hier ein untrügliches Gefühl für das rechte Maß, ebenso, wenn er die Diskurse über die Hundezucht einbindet. Das komplexe Geflecht aus Genetik und Verhaltensforschung fügt der Autor recht elegant und unakademisch ein. So findet Edgar an einer Stelle einen alten Briefwechsel, in dem sich sein Großvater einst mit einem Zuchtforscher stritt.
„Wenn ein Hund abgerichtet wird, geht es nicht um Kontrolle und Gehorsam, sondern um die Kommunikation zwischen Mensch und Tier. Wenn die Beziehung stimmt, ist es eine Beziehung zwischen gleichberechtigten Partnern. Hier wurde ich von Vicky Hearne beeinflusst, einer amerikanischen Hundezüchterin, Dichterin und Philosophin. Wissenschaftliche Motive können einer Erzählung helfen, sie können sie vorantreiben. In diesem Fall sollte ein Schriftsteller sie unbedingt einarbeiten.“
So gut die deutsche Übersetzung gelungen ist – manches Mal scheint die deutsche Grammatik die Sätze zwangsweise sperrig zu machen. Schade, denn die einfache, klare Sprache des englischen Originals erstaunt. Ebenso die Motivvielfalt und die stimmige Gesamtkomposition.
Es ist erfrischend, wieviele Klischees des Buchmarkts und des Literaturmarketings David Wroblewski widerlegt: Unter all den hochgejubelten Jungstars findet sich ein bedächtiger, knapp 50jähriger Debutant; kein Literaturstudent, sondern ein Autodidakt, der jahrelang als Software-Programmierer gearbeitet hat. Und Literatur muss sich nicht als genialer Blitz vermarkten – Wroblewski schrieb 10 Jahre an seinem Debut, die ersten Ideen sammelte er gar 15 Jahre vor der Veröffentlichung!
„Nichts am Schreiben fliegt mir einfach zu. Als Programmierer habe ich etwas Wichtiges gelernt: So fragwürdig Deine Anfangsidee auch sein mag – wenn Du bereit bist, Deine Arbeit immer wieder zu überarbeiten, kannst Du etwas Großes schaffen. Das gilt für Software genauso wie für Literatur. Schreiben heißt: an sein Buch glauben. Wenn man das tut, kommen in der Mitte des Buches plötzlich Möglichkeiten und Ideen für die Handlung auf.“
Mancher Handlungsstrang allerdings hätte in diesem Wälzer entfallen können. Insbesondere am Anfang nimmt sich Wroblewski Zeit, die Landschaft und die Vorfahren seiner Figuren einzuführen. Was hier an Geschwindigkeit fehlen mag, gewinnt der Roman aber später an Figurentiefe und Sogkraft. Obwohl klar scheint, wer der Mörder ist, bleibt spannend, wie der stumme Edgar ihn überführen möchte, wie ein Jugendlicher Rachegelüste, Ohnmacht und Wut durchlebt. Am Ende steht ein überraschendes, unausweichliches, ja: shakespearsches Finale.
David Wroblewskis Roman „Die Geschichte des Edgar Sawtelle“ wurde aus dem Amerikanischen von Barbara Heller und Rudolf Hermstein übersetzt. Das Buch ist bei der DVA erschienen, hat 704 Seiten und kostet 22 Euro 95.
Rezensiert für die Bücherlese auf SR2.