Jedediah Purdy will höchst engagiert eine umweltpolitische Theorie des Gemeinwohls vorlegen. Er verheddert sich leider in der Themenvielfalt. Leider!
Er ist kein Unbekannter in der US-Öffentlichkeit: Jedediah Purdy, geboren 1974, ist Juraprofessor an der Columbia Law School in New York und greift gerne in Diskussionen ein, zum Beispiel mit Beiträgen in renommierten Magazinen. Um Gemeinwohl, die Umweltverschmutzung oder den Stand der Demokratie geht es dann – oder um alles gleichzeitig, wie in seinem neuesten Buch mit dem Titel „Die Welt und wir“. Angesichts der gigantischen Themenspannbreite ist das Bändchen recht schmal.
Der CO2-Fußabdruck hat sich in letzter Zeit als Leitmetapher für die Umweltzerstörung etabliert. Nicht ohne Problem, denn so recht wahrnehmbar ist ein CO2-Gehalt in der Luft für uns kaum. Vielleicht hat Jedediah Purdy auch deshalb die zerstörte Landschaft zum Leitmotiv seines kleinen Buches „Die Welt und wir“ gemacht, mit dem er uns zur Umkehr bewegen will.
Akribisch listet Purdy die Malaisen auf: Bleihaltiges Trinkwasser in Michigan; Chemikalien, die tausende Kilometer an Flussläufen abtöten; weggesprengte Berggipfel als Resultat von Kohleabbau, verkleinerte Nationalparks. Die Menschheit vergewaltigt die Erde auf habgierige, unnachhaltige Weise, die im Originaltitel noch deutlicher wird: „This land is our land“.
Und diese Landnahme-Mentalität hat gerade auch in den USA noch eine zweite, drastische Schattenseite: Landbesitz ist meist rassistisch und nach der sozialen Herkunft verteilt. Reservate von Indigenen werden verkleinert, People of Color in Gegenden mit mehr Unweltverschmutzungen abgedrängt.
Die Lösung sucht Jedediah Purdy genau hier – im Konzept des gemeinsamen Bodens, den er als gemeinsamen Reichtum der Menschheit versteht. „Common wealth oder Barbarei“ schreibt er über sein Konzept, dessen Eckpfeiler in etwa lauten: ein weltweites Gemeinwesen statt nur eines globalen Kapitalismus; weniger Nationalismus und „Wir-gegen-die“-Mentalität, mehr internationale Koordination; Umweltrechte von Verfasssungsrang. Das bleibt leider sehr abstrakt und konkrete Forderungen tauchen nur am Rande, in Form von Fragen auf: zum Beispiel, ein Embargo gegen Brasilien zu verhängen, sollte das Land weiter den Regenwald abholzen.
Viele der Probleme sind sehr auf die USA bezogen, etwa die mangelnde Solidarität im Gesundheits- und Sozialsystem, oder auch Purdys Bezugspunkte in der Umweltdebatte: Wo wir hier eher die „Grenzen des Wachstums“ und Ulrich Becks „Risikogesellschaft“ zitieren würden, sind es bei Purdy US-Autoren wie Rachel Carson, William Vogt oder Fairfield Osborn – und natürlich Henry David Thoreau, der US-Star des selbstgenügsamen Eremitentums. Wo unsereiner im Menschen Arnold Gehlens Mängelwesen sieht, definiert Purdy den Mensch mit Anklängen an Marshall McLuhan als „Infrastrukturwesen“.
Übertragbarer auf Europa sind Purdys nüchterne Analysen, wo die Umweltbewegung in den vergangenen Jahrzehnten falsch abgebogen sei: Zu weiß und oberschichtslastig seien die Ökos geworden, und hätten fatal votiert: für den Schutz seltener Arten als Öko-Schoßhündchen und für ein paar unberührte Wildparks anstatt für eine saubere Lebensumwelt auch der Unterschichten. Hier gelte es, Ökologie und soziale Gerechtigkeit zusammenzuführen, meint Purdy.
Zu Recht empört sich Purdy, allerdings über ganz schön viel: Nebenbei geht es noch um Polizeigewalt, die Abschiebepraxis, das Patriarchat und in einem neu verfassten Nachwort sogar noch um Corona. Dann wieder versteht Purdy „Land“ im Sinne von „Staat“ und setzt sich damit auseinander, wie ihn Präsident Trump von seinem eigenen Land entfremdet hat.
Leider klingt oft ein leicht naiver Traum von einer Welt durch, in der plötzlich niemand mehr Drecksarbeit leisten muss und jegliche Arbeit aus fröhlicher, eigener Motivation heraus geleistet wird. Wie Neid, Marktmechanismen und Wettbewerb von selbst verschwinden sollen, kann Purdy nicht sagen. Oft sind Purdys Ideale durchtränkt von der Romantik eines Landlebens, auf das sicher nicht jeder Lust haben wird. Das scheint unvorstellbar für den Autor, der in einem Dorf in West Virginia aufwuchs – fast ohne Elektrizität und in einer alternativen Selbstversorger-Familie.
Vielerlei ist hier also Thema, und auch formell schwankt der kleine Band: mal flammendes Plädoyer, mal faktengesättigtes Sachbuch, Einsprengsel von Verfassungsrecht, Demokratietheorie und Soziologie, aber all das nie in befriedigender Tiefe. Am besten lässt sich das als langer, tastender Essay charakterisieren, auch wenn der Text aus einer Vorlesungsreihe an der New York University hervorgegangen ist: Purdy hat dennoch eindrucksvoll versucht, seine grundlegende Beklemmung auf den Punkt zu bringen.
Jedediah Purdy: Die Welt und wir. Politik im Anthropozän. Übersetzt von Frank Jakubzik, erschienen bei Suhrkamp. 187 Seiten kosten 18 Euro.
Rezensiert für die Lesenswert Kritik auf SWR2. Hier für begrenzte Zeit nachhörbar.