Jan-Werner Müller erneuert den Liberalismus mit Judith Shklar, um ihn gegen den Populismus in Stellung zu bringen. Ein verdienstvoller Ansatz, der aber notgedrungen eine Skizze bleiben muss.
Jan-Werner Müllers akademische Stationen lesen sich bekanntlich wie die Aufzählung von weltweiten Elite-Institutionen. Berlin, Oxford, Cambridge, Harvard, NYU, EHESS Paris, Princeton. Dort lehrt der 1970 in Bad Honnef geborene Müller gegenwärtig Politikwissenschaft. Insbesondere über das politische Denken im Nachkriegseuropa, über das wiedervereinigte Deutschland und seine Probleme hat Müller gearbeitet. Nun legt er einen kleinen, aber dichten Band vor: „Furcht und Freiheit“. Hier will er den Liberalismus erneuern, um ihn gegen die drängensten Probleme unserer Zeit in Stellung zu bringen:
Donald Trumps Präsidentschaft, der Brexit, illiberale, autoritäre Demokratien in Osteuropa – der Populismus greift seit geraumer Zeit um sich. Und mancher macht dafür den Liberalismus schuldig: Wirtschaftliches Laisser faire, selbstgerechte, abgehobene globale Eliten trieben die Protestwähler in die Arme von Rattenfängern, so lautet der Vorwurf.
Jan-Werner Müller zufolge vermengen sich hier gleich mehrere schiefe Konzepte. Und so will der Autor in einem 160-Seiten-Sprint gleich mehrere Grundprobleme lösen: eine Mini-Geschichte des Liberalismus schreiben, die Schwächen des Begriffs aufzeigen, den Liberalismus erneuern und Handreichungen im Kampf gegen Populisten geben.
Gerade letztere stilisieren sich als Minderheit gerne zur schweigenden Mehrheit – eine Strategie, mit der schon Faschisten und Kommunisten an die Macht kamen, wie Müller schon in „Das demokratische Zeitalter“ 2013 zeigte, an das der Essay anschließt. Das neue Buch muss eine Skizze bleiben, wenngleich auch eine äußerst belesene, die kühn Breschen durch den Theoriedschungel schlägt.
So geht es von Hobbes und Locke über Mill bis Hayek, Röpcke und unseren Zeitgenossen; Müller hebt konzeptuelle Schätze, etwa, wenn er zeigt, dass im Begriff „Liberalismus“ früher einmal eine aristokratische Großzügigkeit mitschwang. Heute dagegen scheint der Liberalismus vielen nur ein Erfüllungsgehilfe des Kapitalismus, eine Ideologie zur Rechtfertigung von Lohnprekariat. Solche Sünden des Liberalismus zählt Müller schonungslos auf.
Den Liberalismus aber als Elitenideologie zu brandmarken, das sei grundsätzlich falsch, weil es die Front von Liberalen auf der einen und einfachen Menschen auf der anderen Seite gar nicht gebe. Womöglich gebe es manchmal Establishment und Renegaten; Globals und Locals, Kosmopoliten versus Landbevölkerung – aber eigentlich sei keiner dieser Gegensätze tragfähig.
Deshalb solle man den Populisten zuallererst ihr gefühltes Märtyrertum, ihren Mythos von der schweigenden Mehrheit nicht abnehmen. Ein paar Ratschläge hat Müller im Umgang mit den Populisten, vieles schon 2016 in einem ähnlichen Essay vorgebracht, wegen der Kürze des Buches notwendigerweise abstrakt: Stichworte sind hier: Einladung zum Dialog, aber mit roten Linien – man dürfe sich keine Verschwörungstheorien, keinen Rechtsruck im Diskurs verordnen lassen.
Argumentationstipps werden nun auch die Populisten nicht vom Liberalismus überzeugen, daher erneuert Müller den Begriff mit dem „Liberalismus der Furcht“ von der verstorbenen Harvard-Professorin Judith Shklar: Dieser wollte einfach mehr Sensibilität für die schrecklichen Verletzungen, die Opfer im 20. Jahrhundert durch staatliche Verfolgung erlitten hatten. Es gelte also, Grausamkeit und Furcht zu vermeiden – vor allem dadurch, dass man Opfern und Benachteiligten überhaupt zuhöre; das könne die Mehrheitsbevölkerung für die Ängste von Minderheiten sensibilisieren. Die Forderungen von Minderheiten seien eben keine bloße lustige oder quengelige Buntheitspolitik, sondern meist eine simple Forderung nach Gleichheit.
Wie Shklar hofft Müller so auf eine Gesellschaft mit mehr Anstand, geht aber noch weiter als Shklar und fordert einen „Liberalismus der Rechte“: Unbedingte Abwehrrechte gegenüber staatlicher Macht, Grundrechte und eine Demokratie, in der furchtfrei auch die Minderheiten permanent diskutieren dürfen, wie weit diese Rechte wen schützen – was in den gönnerhaft autoritären Demokratien in Osteuropa immer weniger der Fall sein dürfte.
Für einfühlsame Linke ist das nichts Neues, für eingefleischte Liberale vielleicht schon eher: Hier nimmt einer Abschied von der typisch neoliberalen Kälte; von eher neoliberalen Ideologien, die extreme, ungleiche Verteilungen von Reichtum in Kauf nahmen und die Ärmeren sowie die Entwicklungsländer gerne auf ein späteres goldenes Zeitalter vertrösteten – und den Frust wachsen ließen, dessen faule Früchte wir gerade ernten dürfen.
Eine gedankenreiche Skizze, die den Liberalismus vor allem von einem befreit: dem elitären Aroma.
Jan-Werner Müller: Furcht und Freiheit. Für einen anderen Liberalismus. Erschienen in der Edition Suhrkamp. 160 Seiten kosten 16 Euro.
Für die SWR2 Lesenswert Kritik.