Angelsächsische Bücher sind voller Gender-Klischees, wenn männliche oder weibliche Körper beschrieben werden. Dies zeigt die amerikanische Datenjournalistin Erin Davis in einer umfangreichen graphischen Auswertung.
(Für begrenzte Zeit ist der Beitrag nachhörbar auf den Seiten des SWR2 Lesenswert Magazin.)
Erin Davis war früher das typische kreative Kind: Sie bemalte die Utensilien und Hintergründe für Schultheaterstücke, töpferte und zeichnete… Und dann schockte sie nach der Highschool alle in ihrem Umfeld damit, dass sie Mathe und Ingenieurwissenschaften studierte. Eine pragmatische Entscheidung: Sie wollte einfach einen sicheren Lebensunterhalt, und als IT-Beauftragte für einen Finanzdienstleister hat sie den mittlerweile auch.
Allerdings liest sie – als das Kind einer Bibliothekarin – noch immer sehr viel, von Fantasy über Science Fiction, Romane aller Art bis hin zu Sachbüchern und Autobiographien. Und da kamen nun alle ihre Begabungen und Leidenschaften jüngst zusammen: Erin Davis untersuchte mit statistischen Methoden an 2000 Büchern, zumeist Romanen, aber auch Sachbüchern, ganz nüchtern, wie die Körperteile von Männern und Frauen beschrieben werden. Die Antwort veröffentlichte sie in einem reichlich illustrierten Netzartikel: Leider regieren in den Büchern wohl absolute Klischees von „starken Schultern“ und „schlanken Knöcheln“.
Im Nachhinein würde Erin Davis wohl sagen: Das eine Buch, das sie überhaupt erst auf die Idee zu ihrer Studie brachte, bleibt auch im Nachhinein der Klischee-Spitzenreiter: In ihrem kleinen Lesekreis las sie nämlich „Die Furcht des Weisen“ von Patrick Rothfuss.
„Ein wirklich abscheulicher Fantasy-Roman, der echt schreckliche und so alberne Beschreibungen für den Körper einer sexy Fee hat. ‚Lippen wie Sonnenuntergänge, Augenlider mit Schmetterlingsmustern‘… Allein 35 Seiten lang nur solche Beschreibungen! Und wir dachten nur: Ach komm, echt jetzt? Wir rollten mit den Augen und wollten rausfinden, ob nur dieses eine Buch so ist oder es noch mehr solcher Bücher gibt.“
Gemeinsam mit ihren Freundinnen stellte Erin Davis eine Buch-Liste zusammen: New-York-Times-Bestseller, Bücher, die den Pulitzer Prize oder andere Auszeichnungen erhalten hatten, Texte aus dem Schulkanon, Uni-Pflichtlektüre und Bestenlisten. Zumeist angelsächsische Romane, geschrieben zwischen 1008 und 2020, wobei die meisten aber dem 20. Jahrhundert entstammen. Die Texte fütterte Erin Davis in den „Natural Language Processor“ ein: Ein Computerprogramm, das im ersten Schritt Sätze mit Körperteilen findet und im zweiten Schritt dann analysiert, zu wem das Körperteil gehört: Gibt es ein männliches oder weibliches Subjekt? Konkret: Stand da „his hair“ oder „her hair“? Stand da „king“ oder „queen“? „Harry“ oder „Hermine“? Und welche Adjektive wurden diesen Figuren zugeschrieben? Nach einem Jahr Wochenend- und Feierabendarbeit war Erin Davis fertig.
„Ich war wirklich enttäuscht vom Ergebnis. Was man halt so annimmt, stimmt leider. Man hofft ja doch, dass die Wörter nicht so asymmetrisch verteilt sind. Natürlich gibt es einzelne Bücher mit mächtigen Frauen und sanften Männern, aber insgesamt überwiegen die Klischees.“
Keine Universitätsstudie, aber eine minutiöse Arbeit mit überzeugenden Ergebnissen. Schockierend ist vor allem, dass Körperpartien bei Frauen oder Männern immer noch komplett anders betrachtet werden. Beispiel Kopf: Bei Frauen sind in dieser Körperregion fast dreimal öfter die Haare Thema, bei Männern eineinhalb mal öfter das Gehirn. Frauenfiguren lächeln eher, Männerfiguren grinsen dreimal häufiger. Und auch die zugewiesenen Adjektive unterscheiden sich. 16 Mal häufiger als Männerhaare sind Frauenhaare blond, 16 Mal häufiger sind Frauenarme schlank und Männerkörper kraftvoll. Achtmal häufiger als Männer sind Frauen hübsch und lieblich. Frauenherzen brechen und sind klein, und Männerherzen, tja, die kommen fast gar nicht vor!
Sind das halt alles glühende Männerphantasien in einem von AutorEN dominierten Buchmarkt? Nein, sagt Erin Davis: Ungefähr 35 Prozent der Titel stammten von AutorINNEN!
„Wir schauten auch, wie die Wortwahl davon beeinflusst wurde, ob es einen Autor oder eine Autorin gab. Aber beide Geschlechter tendieren dazu, Frauen eher sexualisiert und Männer eher als mächtig zu beschreiben.“
Gerne würde sie von Frauen lesen, die von starken Beinen durchs Leben getragen werden und von Männern mit einem Herz für Tiere, schreibt Erin Davis – und man spürt ihren Frust. Dabei könnte man auch sagen: Wen wundert das alles? Im echten Leben sind Männerhände durchschnittlich tatsächlich größer als Frauenhände – das wird man ja wohl noch schreiben dürfen, jawohl! Wer auf den Körper schaut, findet Körperteile, nicht Geist, Seele, Esprit.
Eben das würde sie als nächstes gerne untersuchen, kontert Erin Davis und zitiert eine Studie, die sagt: Männer werden eher über ihren Charakter, Frauen eher über ihr Aussehen beschrieben – wieder so eine erwartbare Asymmetrie, die ein wenig zur Nennung von Haaren bei Frauen und Gehirn bei Männern passt.
Ihre Untersuchung hat Erin Davis zusammen mit der Illustratorin Liana Sposto übrigens geradezu glanzvoll aufbereitet: Liana Sposto hat Körper gezeichnet, auf denen sich Wörter in verschiedenen Größen finden, je nach Häufigkeit in der Literatur, auf linke und rechte Körperhälften verteilt für Frauen und Männer. Man kann sich durch verschiedene Körperteil-Kategorien klicken. Das liebt Erin Davis an der Datenanalyse im Allgemeinen: Verborgene Muster werden sichtbar:
„Viele Leute haben gesagt: Wow, ich schau da drauf und verstehe sofort, was du vermitteln willst! Ein Bild sagt eben mehr als tausend Worte. Ich bräuchte 25 Minuten, um die Daten Stück für Stück zu beschreiben, aber so sagt man: Ah, ok, ich sehe es!“
Eine Augenweide irgendwo zwischen Literaturwissenschaft, Statistik, künstlicher Intelligenz und Illustrationskunst. Nachzulesen im Online-Magazin „The pudding“.
Für das SWR2 Lesenswert Magazin.
Übrigens: Auch auf der Homepage von Erin Davis finden sich noch viele spannende Grafiken: Karten zur Verbreitung von Friedhöfen, Radiofrequenzen oder Sackgassen zum Beispiel!