Nachnamen sind heutzutage Schall und Rauch: Bei Dirk Baecker, Joschka Fischer oder Gerhard Müller lässt sich allenfalls ahnen, was die Vorfahren einmal für Berufe hatten. Aber was passiert, wenn wir Kinder wieder nach dem Beruf der Eltern benennen? Ein Roman spielt das durch.
Marc-Uwe Klings „Qualityland“ meint das allerdings nicht ganz ernst…
„Wir wünschen Dir unvergessliche Momente im Land von Sabine Mechatronikerin und Walter Putzkraft. Im Land von Claudia Superstar und Henrik Ingenieur. Willkommen in Qualityland!“
Das ist schon eine schräge Welt, die uns Marc-Uwe Kling in „Qualityland“ serviert. Qualityland ist eine Gaga-Republik, durchoptimiert, technikgläubig, so vollendet neoliberal, dass FDP-Chef Christian Lindner an einem multiplen Orgasmus sterben würde. Das Land hat weniger ein Außenministerium, als vielmehr eine Marketingagentur, und die sucht ständig Investoren. Und diese Investoren wiederum finden eine Gesellschaft mit, ja: mittelalterlichen Namen wie „Müller“ und „Schneider“ gar nicht sexy.
„Darum beschloss die Werbeagentur, dass ab sofort jeder Junge den Beruf seines Vaters als Nachnamen tragen muss, und jedes Mädchen den Beruf seiner Mutter. Entscheidend ist dabei der zur Zeit der Zeugung ausgeübte Job.“
Marc-Uwe Kling buchstabiert das alles minutiös aus. ( In seiner Lesung für Hörbuch Hamburg1 .) Da sind sie also, die hippen Kinder der schönen, neuen Arbeitswelt!
„Tim Esportler“ – „Inara Script Continuity“ – „Darth Convention Organisator!“
Aber natürlich gibt es auch die meisten herkömmlichen Berufe noch.
„Begrüßen Sie mit mir: Patricia Teamleiterin!“ – „Anton Steuerberater, richtig?“ – „Hermine Anwältin!“
In der Politik sorgen die neuen Namensregeln erst einmal für Transparenz: Endlich weiß man mehr über die Kinderstube von Parlamentariern – und könnte verzweifeln. Das Parlament ist ein einziges Parkhaus für Oberschichtskinder: Martin Stiftungspräsident, Martin Vorstand, Toni Parteichef…! Wenigstens der Oppositionsführer heißt „Liedermacher“! In der Wirtschaft sieht es ähnlich aus: Die Fabrik gehört „Bob Vorstand“, und das weltgrößte soziale Netzwerk ist gegründet worden von: „Erik Dentist“. Ein freundlicher Hinweis auf den privilegierten Zahnarzt-Sohn Mark Zuckerberg! Viel weiter unten tummeln sich alle, die niedere Namen haben:
„Jayla Arbeitslose!“ – „Rodrigo Kraftfahrer!“ – „Melissa Sexarbeiterin!“
Rodrigo ist heute Söldner; Melissa ein rechter Internettroll. Alles kein Wunder, weil die Armen und Bildungsschwachen unter sich bleiben: „Shirley-Ann Kellnerin“ heiratet hier halt „Joe Waffen- und Tabakwarenhändler“. Eigentlich spiegeln die Namen sogar nur einen viel tieferen Glauben an Determinismus und Wissenschaft. Manche Schwangere nämlich lässt sich den Lebenslauf ihres zukünftigen Kindes vom Gynäkologen ausrechnen. Dumm nur, wenn beim Fötus von Denise zum Beispiel herauskommt: Das wird wohl eine drogensüchtige Sexarbeiterin!
„Wie Sie sehen können, werden die Probleme in Ausbildungsstufe zwei beginnen: Da wird sie zwei Klassen wiederholen müssen. Mit 13 wird sie einen ersten Selbstmordversuch unternehmen. Erster Geschlechtsverkehr mit 15, ein älterer Mann, wahrscheinlich einer ihrer Lehrer, Vaterfigur.“
Da bleibt nur eine Genmodifikation. Oder eine Abtreibung. Die Gesellschaft: sehr transparent, sehr perfektionistisch, sehr erbarmungslos!
Und bei Peter Arbeitsloser kommt es erst gar nicht zur Zeugung: Seine Freundin hat keine Lust auf einen Sohn namens, sagen wir mal, Jakob Maschinenverschrotter – denn das ist Peters Job gerade. Sie verlässt ihn. Also: Schrott-Job, keine Freundin, kein Kind! Naja, das kennt man schon jetzt…!
Noch andere wiederum leiden nicht nur unter dem Nachnamen, sondern gleich einer ganzen Zeugungsgeschichte:
„Auf dem Monitor ist eine junge Frau zu sehen. Julia Nonne, deren Geburt schon ein medial ausgeschlachteter Skandal gewesen ist, lächelt in die Kamera…“
Tja, willkommen im Land der unerhörten Begebenheiten. Willkommen…
„… im Land von Scarlett Strafgefangene und ihrem Zwillingsbruder Robert Aufseher…“
Ist das das letzte Wort? Eine Art Kastensystem, befüllt mit gläsernen Menschen?
Nein! Es gibt ein paar Lichtblicke, Menschen, die sich gegen die Fremdzuschreibungen wehren. Zum Beispiel Aisha, Tochter einer geflüchteten Ärztin. Aisha erstreitet sich ihren echten Namen vor Gericht:
„Ihr ursprünglicher Name war Aisha Flüchtling. Eine Aisha Ärztin konnte sich für andere Jobs bewerben als eine Aisha Flüchtling. Als ein Beispiel für gelungene Integration!“
Und auch andere haben den Aufstieg geschafft: Da ist noch der Roboteringenieur Viktor Ausländer und Verteidigungsminister Konrad Koch…
Es muss also nicht namenloses Entsetzen herrschen – oder namensbesessenes, herkunftsgeiles Denken. Wer weiß, was wäre, wenn Peter Arbeitsloser noch einmal nachrecherchieren würde. Vielleicht hieße er am Ende doch: Peter Fortbildungsmaßnahmenzugeteilter? Oder Peter Krankgeschriebener? Oder womöglich Peter Samenspender? Das wäre doch schonmal etwas!
Erstellt für die SWR2 Matinee.
Marc-Uwe Kling: Qualityland. Erschienen bei Hörbuch Hamburg. 7 CDs, 506 Minuten Laufzeit. 18 Euro.