Drei Frauen aus Singapur erzählen ihre Leben: ein wilder Mix aus Mythologie, Singapur, Horrorfilm und Weiblichkeit. Die Sprache in Sharlene Teos Debut ist ausgefallen, aber ihr Plot zündet nicht recht.

Welche Debutantin würde nicht davon träumen, was Sharlene Teo da geschafft hat? Eine Empfehlung auf dem Einband, und zwar von einem berühmten Autor wie Ian McEwan, Preise wie den Booker Prize Nachwuchspreis oder den Deborah Writers Award… All das wurde Sharlene Teo zuteil – mit ihrem Debut „Ponti“, in der deutschen Übersetzung: „Schöne Monster“.

Die 1987 in Singapur geborene Autorin hat Jura und Creative Writing studiert, promoviert in kreativem Schreiben und ist gegenwärtig Tutorin dieses Faches an der AutorInnenschmiede East Anglia University in Norwich in Großbritannien. Sie hat sich mit Weiblichkeitsbildern in der Literatur Singapurs und Malaysias beschäftigt, und zu ihrem akademischen Abschluss gehörte ein Roman. Das war eben jenes Buch namens „Schöne Monster“.

Und das klingt interessant: Sharlene Teo, eine junge, englische Autorin mit Wurzeln in Singapur, schreibt einen Roman über die Frauen dort. Und die seien alles andere als unterwürfig, sagte Teo in einem Interview. Doch wer in ihrem Debut nun überraschende, leuchtende Figuren des außereuropäischen Feminismus erwarten sollte, könnte falscher nicht liegen:

„Schöne Monster“ heißt das Buch also programmatisch und will eher die Schattenseiten weiblicher Selbstentwürfe beleuchten. Schuld an den Übeln sind übrigens nicht die Ehemänner, Exmänner und Geliebten, die hier auch nur Nebenrollen spielen. Die Hölle der Frauen, das sind die anderen Frauen – oder die eigenen Abgründe.

Davon erzählen drei Hauptfiguren in einem komplexen Plot: Ihre Erinnerungen umfassen mehreren Phasen ihres Lebens und einen Zeitraum von den 1960ern bis in die 2020er Jahre. Das Scheusal des Romans ist Amisa. Sie ist Ende der 60er aus ihrem malaysischen Wellblechhüttendorf in die Großstadt geflohen. Doch ihre Hoffnungen auf eine Schauspielkarriere zerschlagen sich; umso bösartiger ist sie später zu ihrer Tochter Szu, die ihr als Alleinerziehender den letzten Rest Selbstbestimmung im Leben genommen hat. Überdeutlich heißt es von Amisa:

„Sie ist ein Monster, aber so schön, dass sie mit allem durchkommt.“

Szu wiederum ist im Jahre 2003 16 Jahre alt und im Pubertätshorror gefangen: Unter ihren sadistischen Mitschülerinnen an der katholischen Mädchenschule gilt die hässliche Teenagerin als „Miss Frankenstein“. Sie fürchtet sich vor Mobbing und ihrem eigenen Körper.

„Mit elf hoffte ich noch, dass ich mich in der Pubertät verpuppen und irgendwann zu voller Schönheit erblüht aus dem Kokon kriechen würde. Von wegen! Stattdessen Akne. Fettige Haare. Blut.“

Eine Freundin findet sie schließlich in der Außenseiterin Circe; doch die höchst ambivalente Teenager-Freundschaft geht schließlich in die Brüche. Auch Circe ist eine der Erzählerinnen, und sie schildert das Ganze nochmal aus der Rückschau im Jahre 2020, als sie längst Social-Media-Kampagnen koordiniert. Unter anderem für das Remake eines trashigen Underground-Horrorfilms, in dem Szus Mutter Amisa 1978 mitgespielt hat.

Wo die Handlung verwirrt, da fasziniert zumindest die Sprache. Anke Caroline Burger hat sie treffend übersetzt und lässt damit das sinnliche Singapur auch auf Deutsch entstehen: feuchte Mangrovensümpfe, die Sonne, die „wütende Pfeile schießt“, ein Stadtstaat zwischen Monsun und Luftverschmutzung.

„Über dem Garten hängt schwerer Smog, in dem die Umrisse der Bäume und Blumentöpfe verschwimmen. Die Welt vor meinem Fenster sieht aus wie die Kulisse eines Low-Budget-Films. Die Nachbardächer wirken wie aus orangefarbenem Papier gefaltet. Jeden Augenblick könnte ein riesiger Kran sich herabsenken, die ganzen Häuser packen, hochheben und auf die Müllhalde eines bankrotten Filmstudios krachen lassen.“

Hier ist es Szu, die erzählt. Ihr Verhältnis zur Welt ist grundlegend gestört, ihre Wahrnehmung ist geprägt von Bildern voller Apokalypse, Ekel oder der Ahnung, dass alles irgendwie Fake sei. Ihr abgeranztes Kindheitshaus kommt ihr vor wie eine Militärbaracke, in der Japaner während des Krieges Menschen gefoltert haben. Die Wandfarbe in Szus Schule? Erinnert sie an „Reiseübelkeit und chemisch grüne Eiscrème.“

Abgründige Lebensläufe zu schildern mit den Bildwelten aus dem Horrorfilm-Genre – dieses selbstgesteckte Ziel erreicht Teo am ehesten dort, wo sie sich südostasiatischer Mythen bedient und, darauf aufbauend, sogar eine Horrorfilmserie erfindet, in der Amisa einst mitgespielt hat: „Ponti“. Der Name ist abgeleitet von der malaiischen Geisterfrau „Pontianak“ die von ihrem untreuen Mann verlassen wurde und dann auch noch bei der Geburt ihres Kindes stirbt. Die doppelt Gedemütigte kehrt als hasserfüllter Geist auf die Erde zurück und lauert in Gestalt einer attraktiven jungen Frau untreuen Ehemännern auf.

In den erfundenen Filmen mit Amisa verschmilzt Teo dies alles mit europäischen Vampir-Motiven: Ein missgebildetes Mädchen namens Ponti schließt einen Pakt mit der Unterwelt, wird schön, muss aber das Blut von Männern trinken, um ihre Schönheit fortlaufend zu erhalten. Szus Mutter hat in der Filmserie mitgespielt, und Szu erzählt sie im Buch nach:

„Sie zieht ihre Opfer ganz dicht an sich und gibt ihnen einen langen, nassen Kuss, der ihnen Seele und Jugend raubt. Mitanzusehen, wie meine Mutter einen Schauspieler küsst, ist mir schrecklich peinlich. Blut spritzt. Dann kommt der Kameraschwenk auf die Palmwedel. Man sieht die Blätter zittern. Außerhalb des Bildausschnitts das Geräusch gierigen Schlürfens. Für mehr Blut und Splatter reichte das Budget nicht, weswegen uns die Zerfleischung an sich erspart bleibt.“

Teo verbeugt sich würdig vor der überbordenden asiatischen Horrorfilmtradition, und sie reichert den Motivkreis in ihrem Buch sogar noch an – durch weitere traditionelle Sagengestalten, Doppelgänger, Geisterfrauen. Das ist schrecklich schön, aber leider auch gerade eine Schwäche des Romans: Denn diese „geborgten“ Motive sind mit Abstand die stärksten im Roman; sie haben einen reichen Subtext und Spannung – demgegenüber fallen die Lebensgeschichten um Szu, Circe und Amisa deutlich ab, wenngleich sie beliebte Horror-Motive aufnehmen: Amisas Körper etwa wird sich gegen sie selbst wenden, in Form von Krebs; Circe erlebt ihren eigenen „Body Horror“ in Form eines Bandwurms – über den sie sarkastische Bonmots formuliert:

„Eine Langzeitbeziehung, die über gemeinsames Essen funktioniert und von der nur einer der beiden weiß.“

Trotzdem: Ab der Hälfte erschöpft sich das Buch. Die Beziehungen sind auserzählt, die Perspektivenwechsel werden zum modischen Kniff. Vieles, was am Anfang schon zusammengefasst wird, erzählt der letzte Teil des Buches dann nochmal pflichtschuldig aus. Die Figuren monologisieren und pflegen dabei ihre Wunden, berühren aber kaum. Ein Buch, das mit seiner Sprache, den vielen kreativen Einfällen, mit Mythen und Genre-Referenzen glänzt – aber bei der Geschichte leider deutlich abfällt.

 

Für das SWR2 Lesenswert Magazin.

Sharlene Teo: Schöne Monster. Das Buch hat 320 Seiten, es wurde übersetzt von Anke Caroline Burger und ist bei Blumenbar / Aufbau erschienen zum Preis von 22,00 Euro.