Der alltägliche Existenzkampf in einem Unternehmen für Robotik – so eines Sujets können sich nicht viele deutsche Autoren annehmen. Ernst-Wilhelm Händler ist dafür wie geschaffen.
Studiert hat er Philosophie sowie Betriebswirtschaft und ist nach seiner Promotion in die familieneigene Firma eingestiegen. Ein geisteswissenschaftlich sensibilisierter Kopf mit theoretischem Scharfblick stieß hier auf ein metallverarbeitendes Unternehmen, und die Früchte dieser Weltensynthese sind Romane, die sich immer wieder mit dem Wirtschaftsleben, den Kämpfen innerhalb und zwischen Firmen und mit dem Sinn des Kapitalismus als solchem auseinandersetzen. So auch hier.
Endlich mal kein Schriftsteller, Künstler oder Dandy als Icherzähler! Stattdessen ein namenloser Ingenieur, der das Leipziger Werk eines weltweit erfolgreichen Unternehmens für Steuerungselemente leitet. Seine Abteilung betreibt, ganz ohne das Wissen des Vorstands, ein Labor: Man forscht an kleinen, rollenden zylinderförmigen, mit Greifarmen versehenen Robotern, die Probleme zusammen durch ihre Schwarmintelligenz lösen sollen. Ernst-Wilhelm Händler hat sich bewusst am technischen Stand von heute orientiert; er wollte keinen reißerischen Science-Fiction-Roman voller Androiden schreiben, sondern möchte die Stellung des Menschen zur Technik realistisch in der Literatur ergründen:
„Bei der Technik scheint mir das ein Nachholbedarf zu sein an realistischer Darstellung. Die Technik wird in der Öffentlichkeit ja immer nur abgehandelt mit Hoffnungen und Ängsten…aber man wird damit der Technik selber nicht unbedingt gerecht.“
Zu ihr gehört nämlich auch die absolute Durchökonomisierung. Ein nackter Existenzkampf herrscht in der Firma: Nach außen kämpft man gegen geizige Kunden, billiger produzierende Konkurrenzfirmen und Industriespione; firmenintern sorgen allgegenwärtige Überwachungskameras für den gläsernen und produktiven Mitarbeiter. Das war früher anders.
„Vor 50 Jahren oder so, da gab es noch eine gemütliche Entwicklungsabteilung, und die hat gemütlich entwickelt…Diese Zeiten sind einfach total vorbei. Und deswegen kann man Technik nicht beschreiben ohne diesen ökonomischen Kontext.“
Ein rücksichtsloser Karrierist wie der Erzähler läuft in einem solchen Umfeld zur Höchstform auf. Er intrigiert und zerstört Paarbeziehungen in seinem Team. Liebe, Gewissen oder Gott scheinen ihm Fremdwörter.
„Sein Verhältnis zur Religion ist erst einmal dadurch gekennzeichnet, dass er nicht im Traum daran denkt, die Religion mit ethischen Verhaltensregeln in irgendeiner Form zusammenzubringen.“
Das große Ganze, das sind für ihn einzig Theorien über den Urknall, die er wie zwanghafte Ablenkunsmanöver einstreut. Denn dieser Monolog ist eine Rechtfertigungsrede des Erzählers, ein immer aufs Neue scheiternder Versuch, seinen krankhaften Ehrgeiz, seine anmaßende Rolle als Schöpfer denkender Roboter zu begreifen, wo ihm doch die emotionale Komponente der Intelligenz fehlt. Nach und nach, mit mancher Redundanz, wird er gestehen, wie er die Leben seiner Frau, seiner Tochter und eines protegierten Jungingenieurs tragisch zugrundegerichtet hat. Ein zeitgemäßes Buch in einer kalten, später verzweifelten Sprache, die den heutigen homo faber in erschreckender Reinform zeichnet.
Ernst-Wilhelm Händler: „Der Überlebende“ ist bei S. Fischer erschienen. 320 Seiten kosten 19,99 Euro.
Preis: 19,99 Euro
(für NDR Kultur)