Ein Fremdgänger bereut in einer Internet-Show. Die findet: Er muss den Respekt und die Liebe seiner Frau wiedererlangen – und dafür sterben. Lina Wolff zeichnet in ihrem Roman „Das neue Herz“ ein grelles Bild der heutigen Geschlechterkämpfe – und macht dann doch Hoffnung auf ein bisschen echte Liebe.

Die schwedische Schriftstellerin Lina Wolff, geboren 1973, hat hierzulande noch nicht ganz die Aufmerksamkeit erhalten, die ihr eigentlich gebührt, obwohl sie in Schweden schon einige Preise eingeheimst hat. Lina Wolff lebt ihre feministischen Phantasien in wilden, brutalen, kreativen Szenarien aus, so etwa in ihrem Debut „Bret Easton Ellis und die anderen Hunde“, wo Prostituierte einen Hund namens „Houellebecq“ quälten. Oder im Folgeroman „Die polyglotten Liebhaber“. Die schwedische Literaturkritik hatte große Erwartungen an den Folgeroman und sah sie eingelöst. Nun ist Lina Wolffs dritter Roman „Das neue Herz“ auch bei uns erschienen.

„Ich würde mein Leben für dich geben“. Kaum ein Satz aus Männermund ist dümmere Geschlechterrollen-Prosa. Klassische Aufopferung bis zum Tod auf seiner, egozentrische Prinzessinnenträume auf ihrer Seite. Absurd: Im Fall des Opfertods wäre ein Paarleben natürlich unmöglich. Wie absurd diese Rollenklischees sind, genau davon erzählt Lina Wolff in ihrer Versuchsanordnung „Das neue Herz“: ein greller Roman über alle Extreme zwischen Liebe und Tod. Über die Geschlechter, wie es sie zueinander treibt und wie sie sich gegenseitig demütigen.

Konkret geht es um Mercurio und Soledad. Ihre Ehe ist zerbrochen, denn Mercurio ist jahrelang fremdgegangen. Jetzt aber hat der 55-jährige Fondsmanager seinen Job in Madrid verloren, und er will Soledad zurück. Er will die Beziehung und auch Soledad retten! Denn seine Ex hat eine Herzschwäche und könnte ohne Spenderherz bald sterben.

Soledad ist einer Paartherapie nicht abgeneigt, aber es fehlt das Geld. Verzweifelt verfallen die beiden auf eine ominöse TV-Show im Darknet. Dort kann eine steinalte Nonne namens Schwester Lucia angeblich jedes Problem lösen. Doch kaum ist Mercurio da vor die Kamera getreten, wollen die Zuschauer im Netz, dass er bestraft wird. Also schlägt das Fernsehteam vor: Mercurio soll aus Liebe und Reue sein Herz spenden, damit die betrogene Ehefrau glücklich weiterleben kann. Den ziemlich surrealen Vorschlag will das Fernsehteam tatsächlich umsetzen und will Mercurio gefangennehmen – aber der kann flüchten.

In den früheren Büchern der Schwedin Lina Wolff gab es bereits Zeitsprünge und Perspektivwechsel, die die Figuren in ihrer schillernden Ambivalenz zeigten. Ähnlich, allerdings weniger verwirrend, geht es im aktuellen Roman zu. Zunächst erzählt Mercurio seine Geschichte – und zwar einer Journalismus-Stipendiatin namens Bennedith, die er beim Frustsaufen in einer Kneipe kennenlernt. Auch Bennedith hat eine lange Geschichte von gescheiterten Beziehungen hinter sich.

Im zweiten Teil rollt Schwester Lucia dann ihre Vorgeschichte auf und erzählt den Fortgang – in Briefen an Bennedith, die wegen eines anderen unschönen Vorfalls mittlerweile im Gefängnis sitzt. Nur soviel: Da kommt ein weiterer selbstherrlicher Mann in einem unglücklichen Gerangel zu Tode, bei dem Bennedith beteiligt ist. Offenbar will Lina Wolf möglichst viel Drastik in einer leicht pflichtschuldig auserzählten Vor- und Nachgeschichte unterbringen.

Ja, das ist eine bisweilen lustvoll bis lasterhaft und gesetzlos lärmende Orgie des Geschlechterkampfes bis in die Beziehungen der zahlreichen Nebenfiguren hinein. Da missbrauchen Männer Frauen, da sperren Frauen einen Mann in einen Schweinestall, da terrorisieren geschiedene Frauen ihre Exmänner.

Allerdings durchkreuzt Lina Wolff – wie schon in ihren vorherigen beiden Romanen – auch so manches Klischee: In ihrem neuen Roman haben Frauen starke Hände und schlachten Tiere. Schwester Lucia ist überraschenderweise Fan des Patriarchats, ihr junger Klosterdiener wiederum Anhänger einer diversitätsgeleiteten Identitätspolitik. So pendelt der Roman also zwischen überbordender Detaillust und skurriler Komik, in zeitgemäßes Deutsch übersetzt von Stefan Pluschkat.

Bravourös kann Lina Wolff aus der Männerperspektive erzählen, ebenso aber auch aus der Perspektive der Mittvierzigerin Bennedith, die sich ob einer älteren Frau grämt, deren Körper attraktiver ist als der ihre. Überhaupt die Körper: Schonungslos ist Lina Wolffs Blick auf hängende Brüste wie auf schlaffe Penisse und hilflose, sabbernde männliche Alzheimer-Patienten. Der herablassende, angeekelte Blick darf alle treffen, so das ästhetische Votum.

Am Ende bleibt das Buch eine etwas unentschlossene Mischung: Es will Beziehungsverwirrungen der drastischsten Art als das Wesen des Menschen darstellen, gibt den allgegenwärtigen Medien eine Mitschuld. Trotzdem plädiert ist in der Mitte für die zarte Kraft der Liebe. Denn Mercurio wird in einer zentralen Passage Bennedith näherkommen.

Lina Wolff ist die weibliche Antwort der Schweden auf Michel Houellebecq – Fans des Autors, männlich wie weiblich, werden das Buch mögen. Aber für Romantiker ist dieser Erbärmlichkeits-Striptease wahrlich nichts!

Lina Wolff: Das neue Herz. Aus dem Schwedischen übersetzt von Stefan Pluschkat. Erschienen bei Hoffmann und Campe. 272 Seiten kosten 24 Euro.

Der Beitrag ist für begrenzte Zeit auf SWR2 nachzuhören.