Stellen Sie sich vor, Sie sähen nur das linke Drittel des Luftschiffs Hindenburg – würden Sie nicht trotzdem an die Katastrophe von 1937 denken? Und wenn sie eine jugendliche Hand mit einem Tennisarmband und einem Pokal sähen – dächten Sie nicht automatisch an Boris Beckers Sieg in Wimbledon 1985?
Diese zwei Bildexperimente macht eine Ausstellung im Frankfurter Museum für Kommunikation seit heute mit dem Besucher. Denn Bilder verdichten Ereignisse zu Geschichten und machen sie für das kollektive Gedächtnis handhabbar. Was aber wird überhaupt zu einem Medienereignis – und wie? Welche Medien haben den größten Einfluss in diesen Prozessen? Und wie tauchen diese Fragen wieder in den Medien auf?
Solchen Fragen hat sich das Graduiertenkolleg „Transnationale Medienereignisse“ an der Uni Giessen gestellt und die Ausstellung zusammen mit dem Museum erarbeitet (bitte sagen, da das Teamwork war und die Kuratorin nur „Sprecherin“). „Unvergessliche Augenblicke: Die Inszenierung von Medienereignissen“ heißt sie.
Pascal Fischer sagt, was es über die Mediengeschichte dort zu sehen, zu hören und zu fragen gibt.
Frz. Nationalhymne
Die Stürmung der Bastille blieb den Franzosen im Gedächtnis, dank Souvenirs als Erinnerungsmedien: Bebilderte Tabakdosen, aber auch Miniaturmodelle der Bastille, entweder aus eben jenen abgetragenen Steinen des Gefängnisses gehauen, oder aus Gips und Bauschutt der Bastille erstellt. Nina Burkhart, Sprecherin des Graduiertenkollegs:
„Ganz ähnliche Dinge findet man für den Mauerfall, wo man ein Stück Mauer als Ohrring mit sich herumtragen konnte.“
Das Bild dagegen war schon lange vorher das Medium, das Ereignisse reduzierte, standardisierte und dadurch kollektiv abrufbar machte – lange vor den ikonenartigen Fotos des zwanzigsten Jahrhunderts:
So folgen Kriegsdarstellungen aus dem 17. Jahrhundert ähnlichen Mustern. Oft ist der Kriegsherr als Mars dargestellt, die Schlachtenordnungen gleichen sich. Denn die Künstler waren nie vor Ort, sondern kopierten Standardkupferstiche. Allerdings tauchen in diesen Stichen oft Beobachterfiguren auf: Der Berichterstatter im Bericht sorgt als Authentizitätsgarantie, genauso wie heute:
„Man zeigt Kameraleute vor Ort, um deutlich zu machen: Das ist ein wichtiges Ereignis!“
Ein Medieninteresse, das entgleisen kann:
Entführer: „Bis jetzt war die Polizei zu feige, hat Angst…“
Im Gladbecker Geiseldrama 1988 boten die Medien den Entführern durch Interviews eine Bühne, die Verbrecher nutzten und genossen das. Ereignisse werden also durch Journalisten auch gestört, geschaffen oder dramatisiert: Die Ausstellung zeigt alle zweifelhaften Facetten der medialen Selbstthematisierung, inclusive der beifallheischenden Selbstkritik.
„…die natürlich nicht weniger dazu beiträgt, dass das Ereignis als Medienereignis reproduziert wird, das muss man ganz klar so sehen!“
Auch über andere, vor allem über neue Medien berichten die Medien.
Willy Brandt: “…gebe ich den Startschuss…”
Live inszenierte Willy Brandt den Wechsel zum Farbfernsehen.
Lied „Alle Meister horchen dem Schall, alle Meister vom Fache: Lubitsch, ..und Fritz Lang…“
Beim Tonfilm dagegen gibt es keinen solchen Stichtag, stattdessen aber eine lange Geschichte von Protesten der Stummfilmmusiker und dem Jubel der Fortschrittsgläubigen, die im Tonfilm einen Authentizitätsschub sahen.
Dabei wurden und werden Filme synchronisiert – und sind damit ein sehr künstliches Produkt, das kann der Besucher in einem kleinen Synchronstudio selbst ausprobieren:
„Ich brauche eine Bohrmaschine…ah dafür nehme ich einen Milchschäumer…“
Videos, Tondokumente, Zeitungsausschnitte, Souvenirs – für ihre Winzigkeit bietet die Ausstellung eine dem Thema angemessene Multimedialität.
Zwar wird das Internetzeitalter ausgespart. Aber Museumsdirektor Helmut Goldt sieht direkte Bezüge in der Ausstellung. Gründlich werde dort die naive Vorstellung vom Abbild der Realität widerlegt – das könne man auch auf die neuen Medien wie das Web 2.0 übertragen:
„Der große Glaube, dass von unten das Authentische kommt, ist ja mehrfach widerlegt, weil es Beispiele gibt, wo gefakete lonelygirl-Figuren auftreten, und am Ende ist es eine fiktive Geschichte!“
Wer allerdings überall nur Konstruktion wittert, könnte die Anbindung zur Realität verlieren, warnt der Geschichtsprofessor Friedrich Lenger vom Graduiertenkolleg an der Uni Giessen. Vor allem wenn die Medien gefährliche langfristige Entwicklungen nicht zu Ereignissen verdichten können. Beim Beispiel Erderwärmung ließe sich fragen,…
„Ob da nicht eine künstliche, medienereignishafte Zuspitzung geleistet werden muss, um eine breite, gesellschaftliche Resonanz zu erzeugen, das wäre für mich eine Frage, die daraus folgen würde!“
Besucht für Corso im Deutschlandfunk.