Die Beziehung zwischen einem liebenswürdigen Menschenhasser und einer unglücklichen Karrieristin vor dem Hintergrund des irrwitzigen jüdischen Lebens, der Künstler-Bohème und des elften Septembers in New York City – nichts mehr als das ist der Inhalt dieses komödiantischen Debuts von Rudolph Delson, der seinen Job in der Anwaltskanzlei gegen die Schriftstellerei eintauschte. Delson scheut sich nicht vor beißender, sarkastischer Gesellschaftskritik…
Gibt es einen würdevolleren Ort in New York als die U-Bahn, um eine Liebesgeschichte beginnen zu lassen? Für Maynard Gogarty jedenfalls nicht, einen gescheiterten Musiker Ende 30, der noch nicht einmal seine Miete zahlen kann. Nachts klettert er über die Friedhofsmauer und vergiftet die Bäume, die ihm die Sicht aus seinem Fenster verstellen – was ihn nicht daran hindert, die Stil- und Kulturlosigkeit um ihn herum zu verdammen. Dieser skurrile Antiheld Maynard lernt in der U-Bahn Jennica kennen, eine Karrieristin, die glaubt, mit einem gut bezahlten Kanzleijob und der richtigen Wohnung würde sich das Glück automatisch einstellen. Stattdessen wird die Beziehung mit Maynard das bewerkstelligen, aber bis dahin erzählen über dreißig Figuren abwechselnd die verschlungene und aberwitzige Geschichte, so dass der Leser mitten in das flirrende Großstadtleben gezogen wird:
„Für mich war es notwendig, so viele Erzähler zu haben, um die Vielfalt darstellen zu können. Ich will nicht nur zwei Figuren. Dramatisch wird es doch erst, wenn mehrere glaubhafte Charaktere mit widerstrebenden Motiven aufeinander treffen. Dafür sollte das Buch genug Figuren hergeben. Zuerst hab ich das so geschrieben, weil es lustig war: Das schnelle Hin und Her der Stimmen macht mir Spaß!“
Ebenso dem Leser, der die Beziehungen von toten Verwandten, entfernten Bekannten, Nachbarn, ja sogar Fröschen, Papageien und der U-Bahn-Notbremse zu einem Bild zusammensetzen muss.
Jeder Figur hat Delson eine eigene Sprechweise, mal mit Sprachfehler, mal mit Akzent gegeben. Fast wie in den Interviews einer Doku-Fiction-Serie geben die Figuren Auskunft, so mündlich ist ihre Sprache. Wer da nicht mehr mitkommt, kann das Figurenverzeichnis am Ende konsultieren, das wie in einem Dostojewski-Werk Aufschluss über die Charaktere gibt. Oder vielleicht eher wie in einer Komödie.
Vor Delsons ironischem Humor ist nichts sicher: Da geißelt die Jüdin Jennica ihre geizigen Eltern, die ihr keinen Cent für das College gaben, nun aber von Jennica fordern, ihre Kinder jüdisch zu erziehen. 50000 Dollar will Jennica im Gegenzug. Da beschimpft die russisch-jüdische Immigrantin Ana die Israelis als „Mittelmeergesocks“, und die deutschen Leser mögen hier schon wegen des Tabubruchs den Atem anhalten. Doch der Autor Delson hat selbst einen jüdischen Vater und meint: Innerhalb der jüdischen Gemeinschaft habe halt jede Gruppe ihre Ansichten über die anderen.
„Wenn man in Griechenland oder Rom gewesen ist und dann Jerusalem besucht, ist das solch eine zweitklassige Mittelmeergegend. Die antiken Ruinen dort sind ein Witz. Die Bewohner des Landes sind nicht der Typ Mensch, den man an der französischen Riviera sieht. Viele amerikanische Juden sagen natürlich: Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich aus dem Flugzeug nach Tel Aviv stieg. Aber das ist doch nur Sentimentalität!“
Als wäre es der politischen Unkorrektheit nicht genug, zielt Delson mitten ins jüngste Trauma, die Terroranschläge 2001. An diesem Tag taucht Ana unter, man hält sie für tot, und Maynard hofft, schnell Jennica heiraten zu können. Doch Ana ist nur verschwunden, um eine Lebensversicherung abzukassieren. Schnell taucht sie wieder auf, um den Staub der eingestürzten Gebäude zu verkaufen, schließlich hat sie ihn doch, den uramerikanischen Geschäftssinn…
„Zuerst habe ich gezögert: War es angemessen, diesen Tag als erzählerisches Element einzubauen, diesen Tag, an dem Tausende gestorben sind? Aber spätestens am 15. September benutzte Bush ihn als Plot seiner Präsidentschaft. Wenn er das darf, darf ich das auch! Ich habe nicht viel Literatur über den elften September gelesen, die über einfache traurige Märchen von Überlebenden hinausgeht. Es entsteht so ein Schmalz, wenn Leute ihre Geschichten erzählen. Sie sagen: Nichts wird so sein wie früher. Aber ALLES ist wieder so wie früher!“
Vor allem der Misanthrop Maynard seziert sarkastisch die tränentriefende Trauerlust, die klischeereichen Überlebensgeschichten nach dem elften September. Den Todesanzeigen zufolge bestand Manhattan wohl ausschließlich aus „liebenden Vätern“. Plötzlich bezeichnen sich alle als „New Yorker“: Konservative Politiker, die eben noch die liberale Hochburg verdammten, und sogar Farmer und Hinterwäldler, die in ihren Dörfern nie das gleiche Terrorrisiko eingehen wie die Großstädter. Maynard will die World-Trade-Center-Türme wiederhaben – damit sie ihm den Blick auf America verstellen!
„Einige berühmte amerikanische Kulturkritiker haben damals gezeigt: Wir haben den elften September doch geradezu heraufbeschworen. Sie wurden dafür in der US-Presse heruntergemacht. Bushs Büro sagte den Journalisten, sie sollten aufpassen, was sie sagten. Die meisten Journalisten sind sowieso nicht intelligenter als alle anderen Menschen. Sie neigen dazu, Klischees zu wiederholen. Es ist genauso schwierig für sie wie für jeden anderen, unabhängig zu denken. Das Ergebnis: Die Presse ist nur das Echo desjenigen Gefühls, das mal gerade in der Öffentlichkeit überwiegt.“
Davon hebt sich der Roman wohltuend ab, voll von Wortwitz, hintergründiger und unbeschwerter Ironie, rasendem Perspektivenwechsel und eben unbeugsamer Gesellschaftskritik. Es stimmt froh, dass sich ein junger Autor wie Delson weder von konservativen Literaturkritikern, noch von den jüngsten Ereignissen selber davon abhalten lässt.
Rudolph Delsons Roman „Die Notwendigkeit des Zufalls in Fragen der Liebe“ ist bei Nagel und Kimche erschienen, wurde von Dirk van Gunsteren übersetzt. Er kostet 21 Euro 50.