Tuomas Kyrö ist 1974 geboren und gehört in Finnland mittlerweile zu den bekannteren lebenden Autoren. In „Bettler und Hase“ lieferte er eine schelmische, traurige, verrückte Abenteuergeschichte, verpackt als postmodernes Märchen-Roadmovie. Ähnlich skurril ist Kyrös Geschichte des letzten finnischen Königs, „Kunkku“.
1947 geboren, als einziger Sohn eines fiktiven finnischen Königs: Kalle Penttinen, genannt Kunkku, wird es in seinem Leben nicht leicht haben. Denn Regieren ist seine Sache nicht, eher Streiche oder Tennis. Chronologisch erzählt dieser Roman sein Leben von der Geburt bis ins Greisenalter. Und schon als Teenager hat er es nicht leicht, zerrissen zwischen Schlossalltag und dem echten Leben, sagt der Autor Tuomas Kyrö.
„Es geht um die Einsamkeit eines Königs in dieser Welt. Er hat alles, und doch nichts. Er will gar nicht König sein, sondern ein Automechaniker. Aber wenn Du der König bist, kannst Du nicht einfach hinschmeißen und etwas Anderes machen. Das ist sein Konflikt. Also will er raus aus diesem Gefängnis: Deshalb mag er große Brüste!“
Von wegen Tragik. Kunkku ist seit seiner Pubertät unverhohlen vulgär, ein Sportwagenfan und Komasäufer, der zum Schrecken seiner Mutter die Skifahrerin Sofi schwängert – und damit unumkehrbar eine künftige Königin kürt. Der dominierende Kneipenhumor des finnischen Originals wurde von Stefan Moster treffend ins Deutsche übersetzt. Wie so vieles darin ist auch die finnische Monarchie frei erfunden, einen König hatte das spät von Schweden und Russland emanzipierte Finnland eigentlich nie. Am ehesten erinnert Kunkku an Schwedens rüpelhaften König Carl Gustaf. Das Nachbarland beherrschte Finnland lange, bei Kyrö fällt eine Atombombe auf Stockholm. Schwedische Gastarbeiter überschwemmen daraufhin Finnland, das wiederum eine internationale Großmacht inklusive Raumfahrtprogramm ist. Viele Gags in diesem Roman spielen mit skandinavischen Rivalitäten, gesteht Tuomas Kyrö.
„Das ist wohl mein geheimer Traum. Dieses eine Mal kann ich Finnland zum tollsten Land der Welt machen. Wir waren ja immer bloß Schwedens kleiner Bruder. Bis heute sind wir Finnen neidisch auf die Schweden, wir kopieren viel von ihnen. Aber wir sind viel langweiliger als sie. Die haben einen König, wir sind eine Republik. Wir sind halt nicht so schick wie ein Königreich.“
Es gibt keine Tabus in dieser Alternativ-Historie, die Kunkku stets begleitet. Der Politiker Olof Palme ist bei Kyrö ein bekannter Beat-Poet. Der Abenteurer Thor Heyerdahl Generalsekretär der Vereinten Nationen. Yoko Ono macht Kaiserschnitt-Kunstaktionen. Adolf Hitler hat man eingefangen, nun muss er regelmäßig Angehörigen von Opfern gegenübertreten – da bricht auch der Führer heulend zusammen.
Manchmal hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit serviert Kyrö das in einem pseudodokumentarischen Stil, lässt Zeitzeugen zu Wort kommen, natürlich auch Kunkkus Kinderfrauen zu Bettnässerei. In einem Nachwort reflektiert der Erzähler gar die angeblich „schwierige Quellenlage“.
„Es ist eine Satire auf unsere Art, Geschichte aufzuschreiben. Wie all diese Bücher über Kriege… Ich wollte nicht wie ein Historiker schreiben, sondern die einfachen Leute zu Wort kommen lassen. Als ich das verfasste, dachte ich: Es gibt keine Grenzen der Satire für mich. Aber jetzt, auf Lesungen in Deutschland, erröte ich und schwitze! Zum ersten Mal dachte ich: Darf ich das…? Ja, aber natürlich!“
Bei soviel Irrwitz erstaunt Tuomas Kyrös große Disziplin beim Schreiben:
„Ich setze mich hin, starte meinen Computer und schreibe. Das geschieht um neun Uhr morgens. Um drei Uhr nachmittags höre ich auf, und lasse alles in meinem Arbeitsraum hinter mir. (Am nächsten Morgen beginne ich wieder.) Es ist harte Arbeit! An Inspiration glaube ich nicht. Ich weiß gar nicht, was das ist. Schreiben lernen heißt einfach: schreiben, schreiben, schreiben!“
Manches ist so ausgewälzt, dass die Skurrilität überfordert, trotz knackiger, sprachlicher Pointen. Ein Happy End gibt es trotzdem: Nach vielen Abenteuern stürzt die Monarchie durch Skandale, und Kunkku wird als Arbeiter in einem Elektrohandel glücklich. Also dort, wo er eigentlich hingehört. Was der Roman freilich schon zu Anfang verrät.
Tuomas Kyrös Roman „Kunkku“ wurde von Stefan Moster ins Deutsche übersetzt. Er ist bei Hoffmann und Campe erschienen, hat 576 Seiten und kostet 25 Euro.