Ein israelischer Musikmanager beschimpft ständig europäische Juden als „Ashkenazis“ und ein Ben Gurion ähnlicher israelischer Politiker, der von einer Geheimdienstagentin zu Übungszwecken verführt wird: Das sind nur zwei der grotesken Figuren aus Gilad Atzmons neuem Roman „My one and only love“, einer sarkastischen Abrechnung mit dem Zionismus. Dabei ist Atzmon gebürtiger Israeli, er studierte Komposition und Jazzmusik in Jerusalem. Seine Erfahrungen im Militärdienst machten ihn aber zu einem überzeugten Antizionisten. Er wanderte nach London aus, studierte dort Philosophie und ist mittlerweile ein weltbekannter Klarinettist und Saxophonist. Die Hauptfigur des Romans sucht die Liebe seines Lebens. Aber eigentlich geht es um die israelische Geschichte. Wie politisch darf Kunst sein? Pascal Fischer hat sich mit Gilad Atzmon unterhalten.
Corso: Muss Kunst so provozieren wie bei Ihnen?
Atzmon: Kunst muss provozieren, denke ich, ja. Ich will unbedingt provozieren. Und ich will ganz bestimmt die zionistische und jüdische Erzählweise dekonstruieren. Ben Gurions „ethnische Säuberung“ von 1948 betraf 85 Prozent der einheimischen palästinensischen Bevölkerung. Die Israelis sind in ein tägliches Töten der Palästinenser verstrickt. Wir sprechen von Millionen von Menschen, die jetzt im wahrsten Sinne des Wortes in Konzentrationslagern leben. Meine Waffe ist es, die Israelis lächerlich zu machen. Wissen Sie, das ist das Höflichste, was ich tun kann…
Corso: In Ihrem Roman gibt es eine ziemlich bizarre Art von Musikgeschäft: Ein Manager kreiert eine Band aus einem hässlichen Mann und einer schönen Frau. Diese Band geht auch nach Deutschland. Sie wollen den Deutschen Schuldgefühle machen, damit die alle ihre Platten kaufen. Haben Sie so etwas selbst in der Musikindustrie erlebt?!
Atzmon: Absolut! In meinen Zwanzigern habe ich in Deutschland gearbeitet, in dieser „Schuld-Industrie“. Ich spielte diese angeblich so schöne Klezmer-Musik auf der Klarinette. Aber das hat mit jüdischer Musik nicht viel zu tun – es ist einfach nur schrecklich schlecht gespielte Zigeunermusik – außer natürlich bei Giora Feidman, der wirklich gut ist. Es gibt Israelis, israelische Künstler und Manager sowie eine Industrie, die sich damit beschäftigt, dass die Deutschen sich schuldig fühlen.
Corso: In ihrem Roman wird ein Nazi-Kriegsverbrecher vom israelischen Geheimdienst versteckt – und am Leben gehalten, denn die Israelis wollen die Erinnerung an den Holocaust wach halten. Denn sie denken, wenn so jemand verurteilt wird, ist alles vorbei und vergessen. Ist das etwa Ihre Kritik? Ist es nicht sarkastisch, so etwas gerade jetzt zu sagen, wo doch kürzlich der Nazijäger Simon Wiesenthal gestorben ist?!
Atzmon: Ja richtig. Ich finde es erstaunlich, dass Israel mit seiner großen Versprechung, Nazis der Gerechtigkeit zuzuführen, das nur bei Eichmann schaffte. Er war kein Entscheider – er war ein Logistikoffizier. Ich zweifle nicht daran, dass die Juden, die jüdischen und die zionistischen Institutionen wie auch Israel das Problem Holocaust nicht lösen wollten. Sie wollten ihre Opferhaltung behalten.
Corso: Sie sind vor langem nach London gezogen. Sie haben – aus mehreren Gründen – Israel verlassen. Was gibt Ihnen das Recht.Israel so hart zu kritisieren – wenn Sie nicht dort wohnen?
Atmon: Als Jude oder Ex-Israeli habe ich genauso viel Recht wie Sie, Israel zu kritisieren. Da bin ich nichts Besonderes. Ich kritisiere diesen Staat, weil er unmenschlich ist. Jeder hat das Recht dazu, wie ich.
Corso: Treibt dieser Konflikt Ihre Kreativität an?
Atzmon: Absolut. Früher war ich ein normaler Bebop-Jazzer, sehr erfolgreich mit Afro-Kubanischer Musik. Irgendwie merkte ich, dass all diese Dinge in meiner Psyche eine Rolle spielten und meine Musik wurde zorniger. Und damit bin ich glücklich.
Corso: Danny Zilber, der Trompeter in Ihrem Roman, sagt: In der Kunst geht es nur darum, seine Symptome zu genießen und sie mit der Welt zu teilen. Stimmen Sie dem zu?
Atzmon: Aber sicher! Das ist doch ziemlich klar, was Künstler machen, wenn sie über sich hinauswachsen – sie feiern nur ihre Symptome ab, kein Zweifel.
Corso: Wären Sie also traurig, wenn der Nahostkonflikt gelöst würde und der Antrieb für Ihre Kreativität fehlen würde?!
Atzmon: SO verzweifelt bin ich nun nicht! Faktisch gibt es genug Böses auf der Welt, um mich noch 300 Jahre zu beschäftigen. Kein Problem. Wir haben keinen Mangel an Bösem oder Kriegstreibern. Abgesehen davon glaube ich nicht, dass der Nahostkonflikt gelöst werden kann. Denn der jüdische Staat ist gegen Versöhnung, Empathie, Mitleid und Friedfertigkeit. Faktisch ist das, was wir in Palästina sehen, die Wiederholung der Diaspora, der westeuropäisch-jüdischen Tradition: Mauern und Ghettos zu bauen. Zionismus hieß da doch eigentlich: Aus dem Ghetto nach Palästina gehen, viel Chaos schaffen. Und jetzt bauen die wieder Mauern! Also Leute, die Mauern errichten, lösen keine Konflikte. Ich würde nicht auf die Israelis setzen.
Corso: Eine politische Kraft könnte auch der Jazz sein. In den sechziger Jahren spielte der Jazz eine wichtige Rolle in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Nun ist Jazz etwas Globalisiertes, das um Mitternacht über den Fernseher rauscht. Glauben Sie, Jazz kann wieder provokativ werden, vielleicht sogar im Nahost-Konflikt?
Atzmon: Ganz klar: Jazz war am besten in den Sechzigern. Jazz war in Freiheitsfragen engagiert, Jazz war die Ausübung der Freiheit. Jazz spielen heißt: Versuchen, so frei zu sein, wie man kann. Mit John Coltranes Tod wurde Jazz dann vom der Stimme der Schwarzen zur Stimme der weißen Bourgeoisie – und sehr langweilig. Ich denke, Jazz ist politisch, ja sogar metaphysisch. Er ist die größte künstlerische Herausforderung: sich jede Nacht neu zu erfinden. Nicht, dass ich das immer schaffe, aber ich versuche es. Der Jazz sollte sich mehr der Humanität widmen. Man muss keinen Politiker oder eine politische Gruppierung unterstützen – das habe ich auch nie getan. Aber ich kämpfe für eines: die Freiheit.
Corso: Sie demonstrieren das auf Ihre Art: Ihre Band „Orient House Ensemble“ vereint Leute aus der ganzen Welt – sogar Palästinenser und Israelis. Kann der Jazz so Brücken bauen?
Atzmon: Sicherlich! Wenn man zusammen Musik macht, malt, Skulpturen formt, was auch immer…dann ist man zusammen und hört auf, Israeli, Rumäne oder Italiener zu sein. Deshalb ist der Zionismus so problematisch: Als die europäischen Juden sich emanzipierten, sagte der Zionismus: „Oh Gott, jetzt verlieren wir unsere Identität. Lasst uns woanders hingehen.“ Also gingen die Juden nach Palästina und sonderten sich von den Palästinensern ab. Aber ich muss lernen, unter anderen zu leben – das ist meine persönliche Lebensaufgabe.
Corso: In Ihrer Musik klappt das gut. Warum aber haben Sie dieses sarkastische, zynische, provokante Buch geschrieben? Weil Worte Thesen erlauben und mehr als wortlose Musik ausdrücken können?
Atzmon: Ich glaube nicht, dass diese zwei Kunstformen miteinander konkurrieren. Musik ist ein Vehikel, Worte sind ein anderes. In existenziellen Begriffen: Musik ist die Lücke, die zwischen Worte fällt. In meinen eigenen Begriffen: Ich habe meine Worte, wenn ich artikuliert und sarkastisch sein möchte, und ich habe meine Musik, wenn ich die Lücke zwischen diesen Worten füllen möchte. Und das füllt mich sehr aus!
Corso : Herr Atzmon, vielen Dank für das Gespräch.
Atzmon: Ich danke Ihnen.
Interview und Übersetzung von Pascal Fischer für Corso im Deutschlandfunk