Internet-Trolle sind ein, sagen wir einmal vorsichtig, menschheitsgeschichtlich junges Phänomen. Nun widmet sich ein Autor in einem Roman allein diesem Phänomen:
Michal Hrovecky ist in seiner Heimat, der Slowakei, schon ein bekannter Autor, und selbst in Deutschland sind schon drei Romane von Hvorecky erschienen. Die Stoffe drehen sich um das postsowjetische Chaos, um Turbokapitalismus, Digitales und die Probleme junger Menschen. Dafür hat Hvorecky schon zahlreiche Preise erhalten und war sogar schon Stipendiat des Literarischen Colloquiums Berlin. Überhaupt publiziert er seine Artikel und Essays auch in deutschen Zeitungen. Nun erscheint der neueste Roman des 1976 geborenen Autors auf Deutsch. Es geht um die geheimen, dreckigen Meinungsmacher im Netz.
Internet-Trolle gibt es, seit das Internet zum Massenmedium geworden ist – also seit den 1990er Jahren. Aber dass die digitalen Schreihälse koordiniert Fake News im großen Stil verbreiten, das ist ein relativ junges Phänomen. Umso verdienstvoller wirkt da Michal Hvoreckys Versuch, das Phänomen literarisch zu erkunden. Herausgekommen ist allerdings ein kurzes und ambivalentes Buch.
Schauplatz der Geschichte ist ein osteuropäisches Land in nicht allzu ferner Zukunft nach einem großen internationalen Hackerkrieg. Der ist vom russischen „Reich“ geführt worden, das nun über seine osteuropäischen Satellitenstaaten wacht. Dabei hilft ihm gute alte Propaganda, die es jetzt im Netz durch Trolle streut. Der Westen des Kontinents hat als abgeschottete „Festung Europa“ nicht mehr viel zu sagen. Das alles stößt dem namenlosen Ich-Erzähler, einem übergewichtigen jungen Mann, so auf, dass er mit seiner besten Freundin Johanna, Ex-Junkie, beschließt, sich als Hetzer in einer (sogenannten) geheimen Trollfabrik anstellen zu lassen, um das System am Ende bloßzustellen und von innen zu zerstören. Ein Troll-Trojaner sozusagen!
So geifern sie bald schon vor ihren Rechnern in einer stillgelegten Industrieanlage los, der Teamchef setzt das jeweilige Tagesthema: Der Donbass sei das Stalingrad von heute! Oder: Israel habe einen Genozid begangen! Innerhalb von Stunden drehen sie die öffentliche Meinung oder ruinieren den Ruf von einzelnen politischen Widerständlern. Jeder Troll verwaltet zig Fake-Profile in den sozialen Netzwerken, in Teams mit verteilten Rollen mischen sie alle dann Chatforen auf; eine eigene Redakteurin baut sogar extra authentische Rechtschreibfehler ein.
So Einiges klingt hier nach Groteske und ist doch fast Reportage, denn ähnliche russische und osteuropäische Trollfabriken gibt es wirklich. Hvoreckys These: Diese Zentren führen altbekannte Sowjetpropaganda auf einem neuen Level fort. Zum Beweis zitiert er vor einigen Kapiteln literarische und politische Größen wie den Gulag-Kritiker Alexander Solschenizyn oder Jewgeni Samjatin, den Autor der Dystopie „Wir“. Die Ähnlichkeiten von damals und heute sind in der Tat erschreckend.
Viel muss Hvorecky im Roman nicht erfinden; dieses Osteuropa mit Rechtsruck kennen wir aus der Zeitung. Bei Hvorecky gibt es außerdem eine rechte Motorradgang namens „Reichsteufel“; im Troll-Hauptquartier finden allerlei treffend porträtierte Systemwechsel-Verlierer zusammen: „rachsüchtige Revanchisten“, „verkrachte Netzdschihadisten“, „radikale Nationalisten“ und „zynische Gegner der staatlichen Ordnung“, wie er sie nennt. Sogar Rapper hetzen mit – Kompliment an den Übersetzer, der reimt: „Zionist“ auf „Ökofaschist“ und „Ekel“ auf „Petro-Schekel“. Pointiert und realistisch-ekelhaft eben.
Diese leuchtenden Details können allerdings die Dramaturgie des Romans nicht ganz retten. Die zweite Hauptfigur Johanna etwa baut Hvorecky zuerst detailliert auf, lässt sie dann seltsamerweise links liegen, bis sie später zur rettenden Revolutionärin aufsteigt. Und zu viele Themen der früheren Romane Hvoreckys blitzen auf: Massenparanoia, Systemwechsel, Überwachung, Drogen- und Internetsucht. Manche Handlungsstränge offenbaren wundervolle kreative Ideen und drastische Szenarien, die vom nächsten Existenz-Gau leider komplett weggespült werden:
Das korrupte Gesundheitssystem, geleitet von einer Esoterikerin, glaubt an Therapien wie „Email-Psychodynamik“. Unterwegs wird die Mutter, die auswandern möchte, mal kurz in die Psychiatrie weggesperrt. In Notzeiten essen die Menschen sogar ihre verstorbenen Nachbarn… ein DDR-artiger Mauerbau, eine Flüchtlingskrise, mehrere Herrscherwechsel: Soll das womöglich eine internettypische Reizüberflutung beim Leser erzeugen?
Am Ende jedenfalls steigt unser Held zum Obertroll auf – die ultimative Verführung der Macht und die größte moralische Prüfung für ihn. Auch, weil mancher Opportunist am Ende die Seiten wechselt. So fasziniert dieses Buch durch seinen Realismus, fast wirkt es wie eine Anleitung, mit der sich erfolgreich Fake News erstellen lassen. Gerade deshalb erstaunt das fast zu optimistische, schnelle Ende und lässt den Leser auf literarischer Ebene leider unzufrieden zurück.
Michal Hvorecky: „Troll“ wurde aus dem Slowakischen übersetzt von Mirko Kraetsch und ist bei Tropen erschienen. 216 Seiten kosten18 Euro.
Für die „Lesenswert Kritik“ in SWR2.