Das muss man sich erstmal trauen: Wenn der Chef kommt und was will, einfach sagen: Ich würde das lieber nicht tun. So wie Bartleby, die Hauptfigur in Herman Melvilles gleichnamigem Klassiker. Taugt dieser traurige Verweigerer, der am Ende im Gefängnis verhungert, heute noch zum Vorbild? Ein Künstlerkollektiv aus Berlin sagt: unbedingt!
Bartleby lebt noch immer! Überall! Er, dieser traurigste Märtyrer der Arbeitswelt. Man singt von ihm, wie im Potsdamer Theater Hans Otto. Man rappt, wie im Deutschen Theater Göttingen. Oder er schafft es gleich nach Hollywood, in die Komödie von Jonathan Parker 2001. In Bartleby können wir unsere kühnsten Träume von der Faulheit ausleben! Und nach dem Theater, nach dem Kino, nach der Lektüre? Gehen wir dann wieder brav zur Arbeit!? Bartleby, nur Schleuser bei der Weltflucht? Der hilft, die Arbeitswelt zu verdrängen, aber nicht, sie zu verändern?
„Für mich ist das eine Figur, […] die sehr interessante Fragen aufwirft, nämlich: Wie kann ich mich elegant verweigern, wenn ich der Meinung bin, das ist totaler Blödsinn, den ich hier machen soll – so dass ich nicht auf Widerstand stoße? Also eine sehr effektive Form des Widerstands!“
Jörg Petzold, ausgebildeter Schauspieler und 2014 Mitbegründer des Haus Bartleby, Zentrum für Karriereverweigerung in Berlin. Kein fester Ort, sondern ein Netzwerk. Das Zentrum plant Kunstaktionen, seine Mitglieder sind bei Podiumsdiskussionen zu sehen, wo sie fragen: Wie können wir Arbeit sinnvoll und erträglich gestalten? Jörg Petzold:
„Ich habe meine Schauspielkarriere an den Nagel gehängt, zum großen Teil zumindest, weil sie mit meiner Familie nicht vereinbar war. Und weil ich auch das Gefühl hatte, das dreht sich so wahnsinnig um sich selbst, das ganze Business, dass es überhaupt nichts mit dem zu tun hatte, was ich mir vorgestellt hatte: dass man sich wirksam mit der Welt auseinandersetzt.“
Ein Problem, das viele ereilt, die von den grundlegenden Strukturen angeödet sind: Bullshit-Jobs, deren Nutzen für die Gesellschaft nicht erkennbar ist; stupide Arbeit, wie sie die Kopisten um Bartleby erledigen sollen; Betriebe, die nur nach Gewinn, nicht nach Inhalten oder gar dem Gemeinwohl streben; Kosten, die zum Beispiel in Form von Umweltverschmutzung auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Jörg Petzold empfiehlt dagegen zu halten – durch Innehalten, z.B. sich erst einmal krank schreiben zu lassen, um sich zu sammeln. Er betont: Es geht ihm nicht um ewigen Streik oder die ultimative Selbstverwirklichung:
„Ich bin überhaupt kein Arbeitsverweigerer. Ich mache auch Sachen, die mich jetzt nicht so interessieren, wo ich weiß, die sind nötig. Arbeit muss mich nicht unbedingt glücklich machen, aber ich sollte wissen, warum ich das tue!“
Aber ist nicht auch der, der sich einer Karriere verweigert, zum Scheitern verurteilt? Bartleby, der freundlich-konsequente Totalverweigerer, wird schließlich aus dem Kanzleigebäude entfernt, landet im Gefängnis und verhungert. Wie kann so jemand engagiert und vor allem… zusammen mit anderen solidarisch handeln? Ganz abgesehen von seinem großen persönlichen Leid?
Zitat: „Er schien allein, völlig allein im ganzen Weltall. Ein Wrackstück mitten auf dem Atlantik.“
Organisierte Verweigerung könnte helfen, meint Jörg Petzold:
„Wenn man das herausgefunden hat, was einem jetzt wichtig ist, dann sucht man sich ja automatisch Menschen, die der gleichen Meinung sind und die vielleicht schon eine Idee haben, wie man das umsetzen kann.“
So geschehen im Haus Bartleby. Und trotzdem: Auch, wer sich zusammen verweigert, hat erst einmal weniger Geld und dadurch noch weniger von der Freiheit, die er doch eigentlich sucht? Das wusste auch schon Bartlebys Chef!
Zitat: „Zuviel Einengung«, rief ich, »Sie engen sich ja selbst dauernd ein!«“
Jörg Petzold hat Schauspiel-Aufträge als Sprecher, aber sonst? Den Frust des Angestelltendaseins muss man vermutlich erst einmal eintauschen gegen eine Existenz mit Anteilen von Selbständigkeit. Und da gilt es, zu jonglieren:
„Ich arbeite für einen Baumpfleger als Bodenmann. Der hebt Zweige vom Boden auf und wirft sie auf einen Hänger. Also ich finanziere durch diese Arbeit mein Haus Bartleby quer, weil die kein Geld abwirft und versuche, meine meine idealistischen Projekte zu finanzieren mit Arbeit, die ich machen muss.“
Dabei wehrt sich Jörg Petzold dagegen, das als individuelle Lebenskunst zu sehen, als Trickkiste für Zeit-Management-Life-Hacks. Das schiebt die Schuld nur wieder dem Einzelnen zu. Stattdessen geht es darum, wie wir als Gesellschaft alles rund um die Arbeit organisieren, damit die Burn-Out-Raten sinken: Arbeitsrechte, Arbeitsschutz, Urlaub, Teilzeit, faire Bezahlung… Auch, wie Eigentum verteilt ist, vor allem Wohneigentum, das viele über horrende Mietzahlungen zwingt, den größten Teil ihres Arbeitseinkommens gleich wieder auszugeben, ohne selbst Vermögen aufbauen zu können.
Im Mai 2016 organisierte das Haus Bartleby sogar ein Kapitalismus-Tribunal: in Wien. Eine waschechte Gerichtsverhandlung mit Anklage und Verteidigung unseres Wirtschaftssystems, erzählt Jörg Petzold:
„Deswegen stellen wir auch als Haus Bartleby diese Fragen systemisch und nicht privat. Es gibt keine ‚Work-Life-Balance‘ heutzutage in den allermeisten Jobs, schon gar nicht, wenn ich so schlecht bezahlt bin wie eine Krankenschwester oder wie ein Kindergärtner. Leute, die fantastisch wichtige Arbeit machen und dann bezahlt werden, als wären sie die letzten Idioten.“
Immer wieder bekamen Jörg Petzold und seine Mitstreiterinnen zu hören, ihre Verweigerungs-Philosophie sei etwas für Besserverdienende, für Leute, die sich Sabbaticals leisten können. Dabei fühlte schon Bartlebys Chef, wie unmittelbar effektiv die Strategie der konsequenten Verweigerung war:
Zitat: „Man stelle sich meine Überraschung, nein meine Bestürzung vor! – Ich saß eine Weile vollkommen stumm da und sammelte meine betäubten Gedanken. – Nichts erbittert einen ernsthaften Menschen so sehr wie ein passiver Widerstand.“
Selbst, wenn sich nicht sofort etwas ändert: So ein passiver Widerstand zwingt das Gegenüber, die Ordnung der Dinge zu hinterfragen!
Noch vor wenigen Jahren sei ein so grundsätzlicher Anspruch noch belächelt worden, erzählt Jörg Petzold. Mittlerweile nicht mehr…
„‘Fridays for Future‘ ist eine Bewegung, die riesig groß ist. Das sind junge Leute, die ich bisher auch oft vermisst habe in diesen ganzen Prozessen. Jetzt sind die da – und verweigern sich!“
Natürlich gab und gibt es viele Subkulturen mit Verweigerungshaltung. Aber all die Tattoos, Skateboards, Motorräder, zerrissenen Jeans bis hin zum Irokesenschnitt aus Punk und Hippiebewegung tauchen irgendwann in der Werbung auf. Sie würden zu Mode degradiert und dem Kapitalismus einverleibt, seufzt Jörg Petzold:
„Deswegen ist natürlich eine Verweigerung sehr wirksam und vielleicht eine der wenigen wirklich wirksamen Methoden heutzutage aus meiner Sicht: weil sie nicht instrumentalisierbar ist.“
Und das hat kaum jemand so klar erkannt und so konsequent umgesetzt wie der gute alte Bartleby.
Für die Matinee auf SWR2.