12 Prozent der deutschen Professoren in den 30er Jahren waren jüdischen Glaubens. Als viele von ihnen aus Nazideutschland in die USA flohen, nahmen sie Stellen an schwarzen Colleges an. Die besondere Beziehung zwischen zwei Minderheiten und ihren Kampf um Gleichberechtigung dokumentiert nun das Museum of Jewish Heritage in New York.

Rund 2000 jüdische Gelehrte wurden bis 1940 in Deutschland und Österreich entlassen. Viele flüchteten in die USA, aber Arbeit war dort nur schwer zu finden. Die Wirtschaftskrise hatte das Land im Griff, ein untergründiger Antisemitismus machte die Arbeitssuche noch schwieriger.

Ein Pestalozzi-Spezialist etwa heuerte als Butler an. Der Polititologe John Herz schrieb erfolglose 100 Bewerbungsbriefe. Über Stipendienprogramme für vertriebene Gelehrte fanden die Forscher schließlich Stellen an kleinen schwarzen Colleges, privaten Institutionen im Süden der USA, die meist vor 1880 von Philantrophen und Missionarsgruppen gegründet worden waren.

Da waren die jüdischen Gelehrten vor dem Rassenwahn der Nazis geflüchtet, und begegneten der Rassentrennung in amerikanischen Bussen, Cafés und öffentlichen Gebäuden. Mal offen, mal eher verborgen sympathisierten die Professoren mit ihren schwarzen Schülern und der Bürgerrechtsbewegung. Zum Beispiel Ernst Borinski, der am Tougaloo-College in Mississippi Soziologie unterrichtete. Seine ehemalige Studentin Dr. Joyce Ladner erinnert sich an die frühen 60er Jahre:

„Professor Borinski redete zwar nie von seinen Erlebnissen in Deutschland. Aber wir teilten eine Erfahrung von Unterdrückung. Er hatte viel Verständnis für uns, das war damals für Weiße ungewöhnlich. Er ermutigte mich dazu, eine Aktivistin für die Bürgerrechtsbewegung zu werden, aber mahnte immer zu Vorsicht. Denn er wusste, wie gefährlich alles war. Er hatte Mississippi 1947, in der schlimmsten Phase erlebt. Mitglieder des KuKluxKlan versuchten zum Beispiel, aufs Collegegelände zu kommen, konnten aber vertrieben werden. Dann verbrannten sie draußen vor dem Gebäude Kreuze.“


Ernst Borinski wurde von der Polizei in Mississippi in geheimen Dokumenten sogar als Rassenagitator eingestuft und überwacht. Vorsichtig wirkte er deshalb im Hintergrund. Er munterte Joyce Ladner mit Briefen auf, als sie im Gefängnis saß, nur weil sie eine weiße Methodistenkirche betreten hatte. Allein dafür wurden Gelehrte wie er in der Öffentlichkeit als „Niggerlover“ verschrien. Borinski setzte eine besonders philosophisch begründete Gewitzheit dagegen, erzählt Joyce Ladner.

„Er sprach immer von der Theorie des Andersseins. Professor Borinski näherte sich dem Leben immer durch seine eigene Erfahrung der Fremdheit an, der Differenz, der Andersartigkeit. Er wollte, dass die Leute erst einmal den Standpunkt der Anderen kennenlernten, und erreichte das mit Humor. So organisierte er zum Beispiel Foren zur Soziologie und lud dazu auch weiße Professoren und Studenten anderer Universitäten ein. Dann empfahl er seinen schwarzen Studenten, früh zu kommen und sich verteilt hinzusetzen. Als die Weißen dann kamen, mussten sie sich mitten unter die Schwarzen setzen!“

Die jüdische Pädagogin Lore Rasmussen dagegen agierte offener. Sie aß einfach mit einem schwarzen Kollegen am Talladega College in Alabama zu Mittag. Das galt als Aufwiegelung zum öffentlichen Aufruhr, denn laut Gesetz musste eine zwei Meter hohe Wand zwischen Schwarzen und Weißen stehen. Rasmussen wurde verhaftet. Als sie zu Protokoll gab, dass sie einst aus Nazideutschland geflüchtet war, eröffnete ihr die Polizei gar, sie könne froh sein, nun in einem freien, demokratischen Land zu leben.

Lore Rasmussen war wie viele ihrer jüdischen Kollegen dafür bekannt, neue Lehrmethoden zu erproben und den schwarzen Studenten eine einzigartige Bildung zu garantieren: In ihrem anschaulichen Geschichtsunterricht etwa gingen die Studenten Baumwolle pflücken, erfuhren so vom Schicksal ihrer Vorfahren und wurden nur noch mehr zu akademischen Höchstleistungen angespornt. Ernst Borinski setzte sich mit seinen Studenten um einen Tisch und diskutierte Weltpolitik, anstatt frontal zu dozieren. Und der Kunstwissenschaftler Victor Lowenfeld, einer der anerkanntesten Kunstpädagogen des 20. Jahrhunderts, betonte am Hampton Institute in Virginia eine ganzheitliche Bildung, erklärt die Co-Kuratorin Ilona Moradof.

„Wenn man mit ehemaligen Schülern spricht, erfährt man sehr häufig, dass Victor Lowenfeld wirklich verändert hat, wie diese Menschen die Welt sahen, dass man durch Kunst Vieles verarbeiten kann, was man erlebt hat. Victor Lowenfeld hat auch Schüler in sein Haus eingeladen und ihnen klassische europäische Musik vorgespielt. Einfach, um ihnen eine andere Welt zu zeigen.“

Professoren wie Ernst Borinski waren für ihr Gelehrtenleben berühmt: Borinski las rastlos Tag und Nacht, korrespondierte mit zig Kollegen und forderte dieselbe Arbeitsdisziplin auch von seinen Studenten. Zum Beispiel ermahnte er Donald Cunnigen dafür, dass der draußen in der Sonne ein Schwätzchen mit Kommilitoninnen hielt.
Donald Cunnigen war wissenschaftliche Hilfskraft bei Ernst Borinski. Er schätzt vor allem, dass sich Borinski auch theoretisch in den Vorlesungen mit der Rassentrennung auseinandersetzte.

„Er suchte immer nach Beispieltexten, die irgendwie auch mit meiner Situation als Schwarzer in Mississippi zu tun hatten. Ich habe erst später gemerkt, wie exzellent dieser Unterricht war. Weil nämlich die schwarze Kultur damit als Teil des gewöhnlichen amerikanischen Lebens beschrieben wurde!“

Am Ende ebnete Ernst Borinski seinen Schülern auch den Weg in die Forschung. Donald Cunnigen beispielsweise bewarb sich für weiterführende Studiengänge an anderen Universitäten, und Ernst Borinski verfasste 27 Empfehlungsschreiben. Cunnigen wurde fast überall angenommen.

Insgesamt schafften es außergewöhnlich viele Studentinnen und Studenten dieser jüdischen Professoren an renommierte Universitäten und studierten Medizin oder Jura. Die jüdischen Professoren brachten Bekanntheiten hervor, etwa die erste schwarze vom Präsidenten ernannte Ärztevorsitzende, Joycelyn Elders. Joyce Ladner wurde Soziologieprofessorin und als erste Frau Präsidentin der Howard University, einer traditionsreichen schwarzen Universität in Washington D.C. Donald Cunnigen promovierte im Fach Soziologie in Harvard und ist heute Professor in Rhode Island.

„Ich wurde einmal gefragt, ob wir Schwarzen am Tougaloo-College uns im Studentenheim je über die jüdische Gemeinschaft unterhalten haben. In einigen Teilen des Landes sind die Beziehungen zwischen Schwarzen und Juden ja angespannt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es bei uns je irgendeine antisemitische Diskussion gegenben hat.“

Anschauungsreich erzählt das Museum of Jewish Heritage diese Geschichte zweier Minderheiten. Die Kuratorinnen konnten dabei auf ein fast vergessenes Sachbuch zum Thema zurückgreifen, das in den 90er Jahren in den USA erschien, ebenso auf eine Fernseh-Dokumentation, die auf dem Buch basierte. Die Film-Regisseure von damals, Joel Sucher und Steven Fischler, haben zwei neue Filme zur Ausstellung beigesteuert. Diese oral history ist gerade hier nötig. Denn viele Zeitzeugen sind längst gestorben, beklagt Dr. Donald Cunnigen.

„In der amerikanischen Geschichtsschreibung sind diese Erlebnisse fast völlig vergessen, sie sind weder in der jüdischen, noch in der schwarzen Gemeinschaft präsent. Diese schwarzen Colleges lagen im Verborgenen, hinter dem Schleier der Rassentrennung. Sie waren nicht Teil des Diskurses der herrschenden Gruppen in unserer Gesellschaft. Es ist wichtig, dass diese bemerkenswerten Geschichten erzählt werden. Sie müssen bewahrt werden, damit die kommenden Generationen sie wertschätzen können.“

Wie lückenhaft die Quellenlage ist, zeigt eine bittere Anekdote am Ende der Ausstellung: Albert Einstein hielt 1946 eine Gastvorlesung an der Lincoln University, der ersten Universtität, die schwarzen Studenten Diplome verlieh. Dort geißelte er Rassismus als: „die Krankheit der Weißen“, über die er nicht schweigen wolle. Nur schwarze Quellen belegen dieses Zitat. Die großen Medien ignorierten diesen Ausspruch des weltbekannten Nobelpreisträgers einfach.

Für die Studiozeit im Deutschlandfunk