Eine Füchsin, die sich eine Menschenhaut überwirft und ein queerer Mann, dem Flügel wachsen: Die österreichische Autorin Elisabeth Klar bietet in „Himmelwärts“ eine Melange aus engagierter Literatur zu Gender-Themen und Phantastik.

Die 1986 in Wien geborene Schriftstellerin Elisabeth Klar hat Literaturwissenschaft und Transkulturelle Kommunikation studiert. Sie arbeitet als Software-Entwicklerin, gibt Schreibkurse für Jugendliche und hat für ihr Werk schon zahlreiche Preise erhalten; einer breiteren Öffentlichkeit ist sie als Finalistin des Wettbewerbs „Wortlaut“ des österreichischen Radiosenders FM4 bekannt geworden. In ihren ersten Büchern, „Wie im Wald“ und „Wasser atmen“ ließ sie phantastische Elemente einfließen, erzählte aber von durchaus sehr realistischem Leid – in ihrem Debüt zum Beispiel von einem Missbrauch. Ähnlich phantastisch und zugleich sehr real geht es in ihrem neuen Buch zu, „Himmelwärts“.

Bei der Autorin Elisabeth Klar ist nomen nicht omen. Mehrdeutig, verrätselt sind ihre Geschichten zwischen Traum und Realität. In ihrem neuesten, schmalen Buch hat die Autorin eine Mixtur aus Phantastik und engagierter Literatur geschaffen.

Den realistischen Kern bildet die Geschichte des Österreichers Jonathan, der als junger Aktivist nach Brasilien geht. Dort macht er mobil gegen einen Staudamm. Denn für den mussten die Indigenen ihr Land aufgeben, dreckige Goldminen werden angelegt, die Zwangsprostitution blüht. Als Jonathan und ein Aktivistenkollege zusammengeschlagen werden, kehrt er desillusioniert nach Wien zurück.

Bis in die österreichischen Fernsehnachrichten hat es der Roman kürzlich schon geschafft, weil Elisabeth Klar vor Ort am Belo-Monte-Staudamm recherchierte. Eigentlich aber ist das tiefere Thema hier die queere Identität:

Denn in der brasilianischen Provinz eckte Jonathans Kollege und späterer Liebhaber, Transmann Feo, natürlich an. Später in Wien macht Jonathan Rechtsberatung für queere Geflüchtete. In diesen Passagen sind die wütendsten, vielleicht auch plattesten Kommentare zur österreichischen Politik zu finden: Jonathan schimpft über die, Zitat, „Faschoscheiße“. Gewitzter wird der Roman wieder, wenn ein queerer Aktivist mit Kopftuch durch die Stadt läuft, um gegen ein drohendes Vermummungsverbot mobil zu machen.

Von Brasilien erzählt Jonathan seiner Freundin Sylvia allerdings in der Rückschau – in einer ziemlich phantastischen Gegenwart. Denn hier wächst Jonathan etwas aus dem Rücken. Ein Tumor? Nein: Es sind Flügel! Flügel, die sich Jonathan amputieren lassen will, weil sie ihm zu schwer sind… Ein schillerndes Bild, es steht für die vielen Herausforderungen, die Jonathan erheben könnten, die ihn aber auch fast zerbrechen lassen: für die harte Aktivistenarbeit ebenso wie sein erwachendes Bewusstsein für seine queere Identität. Nicht zufällig taucht die unverschämte Frage auf, ob er sich diese Flügel nur ausgesucht habe, wie eine Schrulle. Als sei die Gender-Identität bloß ein sonderbarer Spleen.

Identität ist eben immer auch stark körperlich geprägt. Das war schon in der Erzählung „An den vielen Ecken“ Thema, mit der Elisabeth Klar 2013 den dritten Platz beim Kurzgeschichten-Wettbewerb des österreichischen Radiosenders FM4 gewann. Darin ging es um eine Frau, der immer wieder Körperteile abfielen. Integrität – im Sinne eines einheitlichen, auch von Anderen akzeptierten Körperbildes – ist auch ein Leitmotiv des neuen Buches.

Die gekonnte Schreibweise von Elisabeth Klar zeigte sich früher schon in vielen eleganten Andeutungen. Nun hingegen finden sich leider viele Passagen mit sehr expliziten politischen Botschaften. Nur die phantastischen Passagen zur queeren Lebenswelt sind poetischer.

Diese Lebenswelt skizziert Klar im „Himmelwärts“, einem Wiener Club für Transmenschen und Drag Queens, der dem Roman auch seinen Namen gab. Ein Ort voller Glitzerjacken und aufgeklebter Wimpern. Hier befreundet sich Jonathan mit Sylvia, eine, Achtung: Füchsin, die eine Menschenhaut gestohlen und angezogen hat, als diese zum Trocknen auf einer Wäscheleine aufgehängt war! Als Neo-Mensch lebt sie sich in der Großstadt ein, übernachtet zunächst bei wechselnden Männerbekanntschaften, bis sie sich durch Diebstähle und Gelegenheitsjobs eine Einzimmerwohnung leisten kann – immer auf der Hut, als Tier enttarnt zu werden.

Auch Sylvia ist im Text eine wandelnde Allegorie: eine notdürftig gezähmte Triebexistenz, die immer noch jeden Menschen beißen könnte und nach ungehemmtem Sex mit Jonathan giert; eine verletzliche Seele, die sich sozial akzeptierte Häute überziehen muss. Ganz am Ende wird sich die Frage stellen, ob sie in ihrer Rohheit und Schutzbedürftigkeit je akzeptiert werden wird. Das klingt seltsam, ist es auch, und manchmal weiß der Text nicht recht, wo er in welcher Ebene genau hinwill.

Ein mäandernder Assoziationsraum, eine faszinierende Parabel über zwei Menschen, die einander – als Füchsin und Mensch mit Hühnerflügeln, eben der Leibspeise für Füchse – eigentlich bekämpfen müssten, die aber vielleicht zueinander finden können in einer Welt, in der sich selten gewordene Räume für Andersartige auftun. Mal märchenhaft, mal realistisch, mal etwas angestrengt bedeutungsschwanger im Ton, bleibt bis zum Ende offen, ob dies Phantastik oder schizophrener Bewusstseinsstrom ist.

Elisabeth Klar: Himmelwärts. Erschienen im Residenz-Verlag. 160 Seiten kosten 20 Euro.

Rezensiert für die SWR2 Lesenswert Kritik.