Kübra Gümüsay analysiert in „Sprache und Sein“, wie andere Sprechweisen und Arten der Begegnung die Gräben in unserer Gesellschaft kitten könnten – und lässt manch interessante Frage leider offen.
Kübra Gümüsay ist eine der profiliertesten Stimmen, wenn es um Integration und Debatten zum interkulturellen Diskurs geht. Geboren 1988 in Hamburg, studierte sie dort und in London Politikwissenschaften und Orientalistik sowie Afrikanistik. Ihr Blog „Ein Fremdwörterbuch“ war nominiert für die Grimme Online Award, als Kolumnistin, Social-Media-Aktivistin, Speakerin und häufiger Gast in Talkshows und auf Panels setzt sie sich für mehr Toleranz ein.
Wenn Kübra Gümüsay als kopftuchtragende Deutschtürkin also über Sprache schreibt, dann ist genau dieser Satz das Problem: Er labelt die Autorin als Stellvertreterin einer Gruppe. Dabei ist Kübra Gümüsay Vieles: Feministin, Hochschulabsolventin, Mutter, Ehefrau, klug, einfühlsam, debattengestählt – und nun will sie ergründen, welche Sprache wir brauchen, um empathisch, konstruktiv, ohne Diskriminierung miteinander zu kommunizieren.
Mehr als viele Andere bringt sie die nötige Sensibilität mit, sie, die Viersprachige, die bekennt, Türkisch sei für sie die Sprache der Liebe und Melancholie, Arabisch habe eine mystische Melodie, Deutsch sei die Sprache des Intellekts und der Sehnsucht, Englisch die Sprache der Freiheit – zumindest in ihrem Erleben.
Der Titel „Sprache und Sein“, das klingt ein bisschen hochtrabend nach einem heideggerisierenden Grundlagenwerk. Stattdessen leistet Gümüsay zunächst linguistische Volksbildung, indem sie für die versteckten Fallen der Sprache sensibilisiert, etwa beim Thema generisches Maskulinum, bei dem wir alle meist Frauen nicht mitdenken, obwohl sie doch angeblich mitgemeint seien.
Letztlich geht es dem Buch um das große Bild: Thema sind die Political Correctness, aber auch die Begriffsverschiebungen durch rechte Spindoctors, die es zu enttarnen gilt – bei Worten wie „Flüchtlingswelle“ – , zudem die kranken Dynamiken der sozialen Netzwerke, in denen der lauteste Schreihals die Diskussionen bestimmt.
Das Buch ist hierbei durchzogen mit Zitaten – von Heroen der Antidiskriminierungsliteratur von James Baldwin über Toni Morrison bis hin zu vielen TheoretikerInnen, gerne mit Migrationshintergrund, von Rapperinnen wie Sookee, von deutschen Geistesgrößen wie Kurt Tucholsky, Rainer Maria Rilke und sogar Friedrich Nietzsche; aber auch von hierzulande weniger zitierten Denkern wie dem Sufi-Mystiker Rumi. Ein schöner Beleg für die inter- und cross- und hochkulturelle Kompetenz, die Kübra Gümüsay verkörpert, über die Deutschland einfach nur froh sein sollte.
Die Lösungen für all die genannten Sprachprobleme sind gerade linken Diskurskennern nicht neu: Empowerment, Sprechenlassen bislang nur „inspizierter“ Bevölkerungsgruppen; selbstbewusstes Sprechen, ohne sich zu rechtfertigen, überhaupt sprechen zu dürfen… Es geht um möglichst viele individuelle Perspektiven ohne die Mützen kollektiver Identitäten.
Besonders beeindrucken ist das Buch, wo Gümüsay persönlich wird und beispielsweise schildert, wie sie ziemlich ermüdend schon als dreizehnjährige Kopftuchträgerin nach dem elften September in der U-Bahn für alle Muslime in Sippenhaft genommen wurde; wie abgelutscht ihr irgendwann die Krawall-Talkshows vorkamen, die nicht in leisen Tönen nach Lösungen für das Zusammenleben suchten, sondern unlösbare kulturelle Grabenkämpfe inszenieren wollten; wie befreiend es war, im Ausland gerade nicht auf das Kopftuch reduziert zu werden; wie verkehrt es ist, wenn sich die muslimische Community mehr um ihre Außenwirkung als um Spiritualität sorgt.
Trotzdem bleibt so manche Frage offen: Nie erzählt Kübra Gümüsay wirklich Persönliches zu religiösen Fragen von Kopftuch bis zu tief empfundener Spiritualität – und vergibt damit die Chance, sich als sinnsuchender, einzigartiger Mensch zu zeigen und gerade zu praktizieren, was sie predigt. So jedoch bleibt man ein bisschen ratlos zurück, wie jemand über Labels erzürnt sein kann, sich für Ambiguität und gegen Absolutheitsansprüche engagiert und sich gleichzeitig durch ein Stück Stoff so gewollt sichtbar, tja, was eigentlich… labelt? Unterordnet? Kreativ und emanzipiert einschreibt in eine Tradition? Man weiß es nicht.
Wie soll das Umfeld jemanden benennen und verstehen, wie es diese Person will, wenn sie sich gleichzeitig ausschweigt? Es scheint ein typischer blinder Fleck im linken Diskurs: Allerlei „Käfige“ will Kübra Gümüsay öffnen, das Denkgebäude Religion spart sie auffällig aus – trotz einiger religionskritischer Zitate.
Ebenso ungelöst bleibt das geradezu idealtypische Problem des linken Diskurses, z.B. „alte, weiße Männer“ als solche zu benennen, um ihnen berechtigterweise das Labeling am eigenen Leib vorzuführen, ohne genau dadurch die Fronten zu verhärten, die man doch eigentlich durch eine solche Sensibilisierung überbrücken wollte.
Ein kluges, klares, sehr persönliches Buch mit einige blinden Flecken, die sich angesichts der wichtigen Botschaft verschmerzen lassen.
Kübra Gümüsay: Sprache und Sein. Erschienen bei Hanser Berlin. 208 Seiten kosten 18 Euro.
Rezensiert für die SWR2 Lesenswert Kritik.