„Wer bist Du? – Ich bin der Tod. Bist Du bereit? – Warte einen Augenblick! – Das sagen Sie alle! – Du spielst gerne Schach…?“

Strandrauschen…

Recht existentiell, nämlich mit einem Ausschnitt aus Ingmar Bergmanns Film „Das siebte Siegel“ hebt die Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland an: Ritter Block will den Tod mit einer Partie Schach aufschieben. Der Abendländer neigt wohl dazu, dem Tode durch ein ratiobetontes Spiel ein Schnippchen zu schlagen und ihn nicht etwa durch Erzählungen hinzuhalten, wie in der arabischen Kultur, über die das Schach nach Europa fand.

Ein gewaltiges Terrain steckt diese winzige Schau ab und zeigt, wie die Geschichtsepochen ihre Weltbilder auf das Schachbrett projezierten – angefangen im Mittelalter. Helene Thiesen, die Projektleiterin der Ausstellung:

„Als Spiel der Vernunft hat Schach seine Reize gerade für diejenigen, die Klugheit und Weisheit benötigen. Das sind die Herrschenden, die Regierenden. Schach gehörte zu den höfischen Tugenden und gehörte zu den Dingen, die ein Ritter beherrschen wollte.“

In der Aufklärung entdeckte das Bürgertum das Schach als Mittel zur Schärfung des Geistes. Die Objekte der Ausstellung sind vielleicht keine weltberühmten Kunstwerke, aber dafür sehr aussagekräftig: Mittelalterliche Schriften und „Schachpredigten“ belegen mit symbolisch aufgeladenen Figuren die hierarchische Gesellschaftsordnung.

Arbeiterschachzeitungen der 20er Jahre und Karikaturen aus den letzten Jahrzehnten, ja: Figurensätze nach dem Motto „Koalition gegen Opposition“ zeigen espritreich, wie nah die Politik sich dem Schach fühlt. Fotos schachspielender Kulturgrößen unterstreichen, wie gerne sich Salvador Dali und Bert Brecht, ja auch Chet Baker oder Yoko Ono als gedankenversunkene Intellektuelle inszenierten.

Demgegenüber versuchten die Nazis, das Schach als propagierten Nationalsport zu instrumentalisieren. Sie erfanden bald sogar selbst ein neues Spiel.

„Man hat neue Figuren kreiert, man hat neue Spielzüge kreiert, die Figuren stellten die modernen Waffengattungen dar. Man hat konkret Krieg gespielt. Das sollte eine geistige Vorbereitung auf den Krieg sein.“

Aber das „Wehrschach“mit dem Namen „Tak-Tik“ konnte das traditionelle Spiel nicht verdrängen. Dieses setzte sich selbst unter den unmöglichsten Lebensumständen durch:

Lautsprecher: „Aber vergessen Sie nicht, dass ich aus aller Normalität gewaltsam gerissen war…“

Stefan Zweigs Schachnovelle kündet als Audio- und Videodokument von der geisterhaltenden Wirkung des Schach in Gefangenschaft. Zu sehen sind in Bonn Leinenbeutel, Kaffeedosen oder Gemälderückseiten: Die nutzte man als Schachbrett und Brotkrumen gar als Figuren.

„Mich persönlich hat am meisten berührt ein unscheinbares Exponat: Das ist eine Schüssel, ein Napf, den ein Häftling im KZ Dachau benutzt hat als Schachbrett. Er hat auf die Rückseite dieser Schüssel ein Schachbrett eingeritzt. Man hat also dieses Geschirr gefunden an einer Zugstrecke, die auch als Todesweg der Häftlinge von Dachau bekannt ist.“

Eine letzte Selbstbehauptung gegenüber den Henkern war hier das Schach, mehr als ein mathematisches Spiel.
Und eine psychologische Taktik ließ sich immer mehr in den Kämpfen der sowjetischen Großmeister erkennen:

„Da zieht Kortschnoi seine Brille hervor…“

Auf den Phillipinen, im Spiel um die Weltmeisterschaft 1978 sieht Anatoli Karpow keine Augen, sondern nur die dunkle Brille seines Gegners Viktor Kortschnoi. Strategisches Wegschauen und Schweigen – Kommunikationsverweigerung gehört plötzlich ebenso zu diesem rationalen Spiel wie sein irrationales Gegenteil, die Parawissenschaften: Ein unentwegt starrender Hypnosekünstler im Dienste von Karpow saß damals in der ersten Zuschauerreihe, erzählte Kortschnoi bei der Ausstellungseröffnung.

„Die Sowjetunion hat die Parapsychologie als echte Wissenschaft entwickelt, hatte große Erfolge, Großmeisterspiele zu beeinflussen!“

Dabei hatte so etwas offensichtlich nicht funktioniert, als sich der Kalte Krieg einige Jahre zuvor auf das Schachbrett verlagert hatte:

„Man hat eine Halle für 2500 Zuschauer gebaut, und ist gespannt, wer Weltmeister im Spiel der Könige wird….“

Reykjavik, 1972: Der Russe Boris Spasski tritt gegen den US-Amerikaner Bobby Fisher an, am Ende gibt Spasski auf. Zahlreiche Magazinausschnitte belegen: Die Figur des Schachgroßmeisters betritt nun die mediale Bühne. Echte Schachfreaks dürfen in der Ausstellung sogar den Originaltisch der Begegnung von damals bewundern; zum ersten Mal wird er auswärts gezeigt. Auch ein 3D-Schachspiel aus der Serie Raumschiff Enterprise fehlt nicht, ebenso wenig der Verweis auf Deep-Blue, die Maschine, die Garri Kasparow 1997 besiegte. Eine letzte narzisstische Kränkung des Menschengeschlechtes, das nun weder dem Tod, noch dem Computer trotzen kann?

„Ich glaube, es gibt eine gewisse Kreativität, die immer noch weiterhilft, über das rein mathematische und schematische, was der Computer bietet, hinauszugehen. Deswegen wird es immer wieder die Mensch-Maschine Duelle geben, und wir werden immer mit Spannung das Ergebnis erwarten.“

Für das Radiofeuilleton im DeutschlandRadio Kultur