Auch wenn mit Obama ein Intellektueller ins Weiße Haus eingezogen ist – die Zig Millionen Evangelikalen sind nicht verschwunden. Erhitzte Diskussionen um Abtreibung, Schwulenehe und kreationistische Schulbücher bestimmen nach wie vor die Innenpolitik der USA. Wie geht es weiter?
Nicht zuletzt der bekennende wiedergeborene Christ George W. Bush war vielen Intellektuellen ein Dorn im Auge, stellte er doch die Personifikation des religiösen Politikers dar und damit eines Menschen, der die Trennung zwischen Staat und Kirche aufhebt, etwa, indem er religiösen Wohltätigkeitsorganisationen Regierungsgelder zuteilte –  für viele säkular eingestellte Denker ein Tabubruch, für viele religiös denkende Menschen eine gesellschaftliche Pflicht. Wie lässt sich diese Teilung des Landes überwinden? Droht ein postsäkulares Zeitalter? Oder ist  gerade die vermehrte Einbindung der Religionen in öffentliche Aufgaben die Rettung der USA? Solche Fragen diskutierten am Donnerstag und Freitag hochkarätige Philosophen, Juristen, Soziologen und Religionswissenschaftler auf einer Tagung an der New School in New York.

Größtenteils linksliberale, säkulare Intellektuelle diskutierten die brennenden Fragen um Staat und Religion –  und es regierte eine überraschende Sanftmut. Offenbar werden zum Beispiel fundamentalistische Evangelikale in den USA nicht so sehr wie in Europa als Bedrohung erfahren. Schließlich streben sie keine Theokratie an, sollen wollen nur ihre Positionen zu Abtreibung oder Ehe durchsetzen. Und die grundsätzliche Trennung zwischen Staat und Kirche würden die Evangelikalen wiederum auch nicht als Affront erleben, hob erklärend Michael McConnell, Richter am Berufungsgericht in Denver, hervor:

„Die Trennung von Staat und Kirche war nie ein antireligiöser Schachzug in den USA. Die größten Befürworter waren die Evangelikalen und Baptisten. Sie erhofften sich Freiheit von der Fessel der Regierungskontrolle!“

Freies akademisches Schweben war so auf der Tagung garantiert. Konsequent taten die Denker, was sie am besten können: Sie zerpflückten die Grundbegriffe „religiös“ und „säkular“, relativierten, historisierten sie. Ansatzweise fragte man dann doch, inwieweit orthodoxe, religiöse Argumente in einer pluralistischen gesellschaftlichen Diskussion überhaupt gelten könnten. Immer noch herrscht hier Unklarheit. Auch die USA sind ein säkular-religiöses Gemisch: Es nicht klar, wer die Entscheidungshoheit über heikle juristische und politische Fragen hat. Die Regierung? Das höchste Gericht? Das Volk in Volksentscheiden? Der Verfassungsrechtler Noah Feldman brachte das Beispiel Kalifornien an, wo man sich über die gleichgeschlechtliche Ehe streitet.

„Es gab eigentlich ein Gesetz in Kalifornien. Die bundesstaatliche Verfassung kippte das. Darüber gab es einen Volksentscheid, und über den entscheidet nun das höchste Gericht. Wir lösen das Problem also nicht, wir fechten es aus. Die Morallehre hat keine Antwort darauf, ob ein paar weise Männer oder das Volk hier entscheiden sollten. Für beides gibt es gute Argumente.“   

Viele Beschreibungen, wenige Lösungsansätze waren zu hören. Dabei war man sich darüber einig, dass sich die religiösen, säkularen Kräfteverhältnisse in den USA ständig änderten, dass das Gleichgewicht ein äußerst „wackeliges“ sei, wie der Kanadier Charles Taylor, bekannt für seine Studien zur säkularen Gesellschaft, betonte.

„Das Problem liegt bei den Leuten, die nicht alle Meinungen zulassen wollen. Das macht eine Demokratie unmöglich. Man hat keine demokratische Gesellschaft, wenn man genug Leute hat, die zum Beispiel beim Thema Abtreibungso total fanatisch sind. Das Problem liegt darin, alle zu überzeugen, dass Demokratie wichtig ist. Aber die Philosophie kann das Problem nicht lösen.“

Tagungen wie solche verlieren dann aber das drängende Problem aus dem Blick: Dass es Ultrareligiöse in den USA gibt, denen die Religion wichtiger ist als die Demokratie. Dass diese erbittertes Lobbying betreiben und die öffentliche Diskussion kapern. Liberale Gegenstrategien abseits der Dekonstruktion der gegnerischen Begriffe hörte man auf der Tagung kaum. Mit einer Ausnahme: Der Naturalist und Atheist Daniel Dennett forderte pragmatisch, die political correctness, die Toleranz gegenüber ausnahmslos jeder religiösen Aussage müsse ein Ende haben.

„Wenn jemand Ihnen beispielsweise sagt, dass Moral ohne Religion nicht möglich ist, sollten Sie höflich Anstoß daran nehmen und sagen: Das ist Nonsens. Man macht ja nicht die Religion, sondern falsches Denken schlecht. Man muss das wie rassistische Kommentare behandeln. Manchmal ist die Wahrheit eben ein wenig verletzend.“

Einiges an Frust verspürte man auf der Konferenz dann doch über Präsident Obama: Der schwor seinen Amtseid auf die Bibel und reichte homophoben Predigern wie Rick Warren die Hand. So sehr das am Ende symbolische Politik sein mag: Obama vertraut auf die Wohltätigkeitsfunktion der Kirchen im Land. Man müsste sich wundern, wenn er dogmatisch säkular handelte und religiösen Hilfsorganisationen jegliche Regierungsgelder vorenthielte. Für strikte Säkularisten dürfte die schleichende Entsäkularisierung der USA also vier oder acht Jahre fortschreiten…

Für „Kultur heute“ im Deutschlandfunk.