Wirren zwischen Planwirtschaft und Wildwestkapitalismus – das setzt Pyotr Magnus Nedov rasant in seinem Debut in Szene.
Pyotr Magnus Nedov ist im Rahmen seines Studiums der Filmwissenschaft in der Welt herumgekommen: Paris, Wien, Montreal – und Moskau. Letzeres gewissermaßen eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln: Nedov ist 1982 in der Sowjetunion geboren worden, in der moldawischen Hauptstadt Tschisinau, in Moldawien und Rumänien großgeworden und später nach Wien gezogen. Damit hat der heutige Kölner die postsowjetische Wendezeit miterlebt. Sein Debut handelt von Osteuropäern, die aus dem krisengeschüttelten Ex-Ostblock nach Italien auswandern wollen, und lehrt den heutigen, westeuropäischen Leser so Einiges, was das Überleben in schwierigen Zeiten angeht.
Kaum haben Angelo und Cristina im Jahre 2011 ihre Jobs in einer italienischen Zuckerfabrik verloren, wollen sie sich, jung und melodramatisch veranlagt, in den Abruzzen vor ein herannahendes Auto werfen. Das geht zum Glück schief! So geraten sie an Tolyan. Er beruhigt die beiden mit seiner Lebensgeschichte aus dem postsowjetischen Moldawien, von der Umbruchszeit im Städtchen Donduseni. Dort hat einst tatsächlich auch eine Zuckerfabrik geschlossen, was der Autor Pyotr Magnus Nedov miterlebte. Und Figur wie Autor sehen die derzeitige europäische Wirtschaftskrise gelassen.
„Also ich glaube, dass man auf jeden Fall optimistischer sein kann im Westen, wenn man dieses Buch liest, weil man vor Augen geführt bekommt, dass die Krise, die man hier hat, gar nicht so schlimm ist, wie es einem erscheint auf den ersten Blick.“
Wahrlich! 1991 lassen halbstaatliche Milizen oder Volksaufstände in Donduseni so manchen sterben. Es fehlt an allem, da entdeckt Tolyan in einem Versteck 40 Tonnen Zucker. Die will er zu Schnaps verarbeiten, illegal verkaufen und sich nach Italien absetzen. Es folgt eine slawische Schelmengeschichte, in der alles doppelbödig ist. So engagiert sich etwa der Fabrikdirektor Hlebnik gegen die Trunksucht, legt aber privat ein Schnapslager an. In der Planwirtschaft regiert untergründig der Schwarzmarkt – der reinste Kapitalismus! Die überall durchscheinende Ostblock-Ironie erklärt der Roman aus dem Widerspruch zwischen verkündetem kommunistischen Paradies und harter Realität.
„Deswegen musste man sich anpassen, an die tatsächliche Realität, ohne aber den Schein zu erwecken, man wäre ein Abtrünniger!“
Der irrwitzige Ton triumphiert bald über jegliche realgeschichtliche Bitterkeit. Denn Nedov setzt krude Sowjetrequisiten in seiner Geschichte ein: zum Beispiel das leitmotivische Alternativzahlungsmittel „Doktorenwurst“ oder die Zigarettenmarke „Weißmeerkanal“. Pyotr Magnus Nedov wollte ein Universum mit ausschließlich osteuropäischen Werten und Marken herstellen.
„Es hat mir Spaß gemacht, und diese Marken, die gibt es alle, die haben mich auch ein Stück begleitet in meinem Leben. Und ich fand das für mich sehr witzig, einfach von einer Welt zu schreiben, die von Westeuropa nichts hat, oder wo diese Berührung noch nicht stattgefunden hat.“
Das kreuzt der Autor mit absurden Einfällen: ein Hund, der „Faschist“ heißt, eine serbisch-orthodoxe Taufe post mortem, Lampen in Form von überdimensionierten Brustwarzen…
„Ich habe mich entschieden, diesen Grundton anzuschlagen, diese Sprache zu nutzen. Ich habe diesen Stil für mich kreiert, weil mir das besser gefällt, als diese Dinge sehr tragisch zu nehmen oder eine Tragödie daraus zu machen! Es ist natürlich sehr viel Drama in dieser Geschichte. Aber es ist trotzdem nicht mein Geschmack, das ernst zu machen.“
Ein grotesker Einblick in den zerfallenden Ostblock, der sich manchmal nicht entscheiden kann, ob er realistisch oder überdreht sein möchte, zwischen Koks, Knarren, knurrenden Lesben und Nierenhändlern.