Mit einer Mélange aus Slang und Hochsprache hat Aura Xilonen etwas Seltenes geschafft: als südamerikanische Literatin sogar in den USA gefeiert zu werden. Nicht nur, weil es um Flüchtlinge geht, das Thema der Stunde. Auch der Weg zur Veröffentlichung war ungewöhnlich. Die Geschichte scheint wie geschaffen für das Literaturmarketing: Die größte mexikanische Buchhandelskette und die mexikanische Abteilung von Random House schrieben einen Preis aus. Unter fast 400 Einreichungen gewann der Roman „Campéon gabacho“, veröffentlicht unter einem Pseudonym. Die Jury vermutete einen dreißig- bis vierzigjährigen Autor dahinter, allein wegen des reifen und doch eigenwillig-schöpferischen Stils. Und auch wegen des Ich-Erzählers: Der ist ein junger mexikanischer Migrant, der sich in den USA nach oben kämpft, aber oft genug wie in einer griechischen Tragödie Spielball des Schicksals scheint, unglücklich verliebt in eine junge Frau namens Aireen noch obendrein.

Wie groß war dann die Überraschung, als sich die damals 19-jährige Aura Xilonen als Autorin entpuppte und erzählte: Sie habe schon mit sechzehn angefangen, das Buch zu schreiben. Das gab viel Presse, verschämte Reaktionen aus dem elitären Literaturbetrieb, aber umso mehr Jubel aus dem Ausland, das Xilonen mit Übersetzungen unter anderem ins Deutsche belohnte.

Zu Recht. Dem Sog des Romans kann man sich von Anfang an kaum entziehen. Wir treffen den Teenager Liborio, dürr, hart im Nehmen, erst vor wenigen Wochen illegal in die USA gekommen. Per Zufall hat er einen schwarz bezahlten Job in einem Buchladen irgendwo in den Südstaaten ergattert. Als Halunken vor dem Geschäft ein junges, schönes Mädchen belästigen, lässt er sich auf einen Kampf ein.

„Zack! Bumm! Kawatsch! Ich niete ihm die Zähne um, bis er nur noch sein rotes, feistes Mus sieht, wie er da großspurig rumzippert, der Länge nach auf den Gehweg gelümmelt, die Beine gegrätscht. Da hatte sich schon ein Häufchen um mich zusammengeballt, denn immer wenn es auf der Street Geklopfe gibt, pflanzen sich Mickerficker neben Mackerfacker, um aus erster Reihe zu glotzen. Sagt einer der Fipse zu mir: »Fokkin, men, nicht auf die fiese Tour, Drecksmex, mach’s wie die Machines.«“

Liborio tritt in gegnerische Hoden, als solle allen Machos, also Mackerfackern und ihren halbstarken Fans, den Mickerfickern, ihre toxische Männlichkeit für immer ausgetrieben werden. Und er drischt auf Münder ein, als solle ihr blödes Gerede auf ewig getilgt werden. Frei nach dem Eingangsmotto des Romans, Worte, wie auch Ideen, seien Erfindungen der Barbaren. Das mögen zunächst Beleidigungen wie eben „Drecksmex“ oder auch „Proletenindio“ sein, die sich Liborio anhören muss; das sind für den jungen Mexikaner anfangs aber auch die überhöhten Worte der Klassiker im Buchladen, die er noch nicht versteht. Er setzt all dem bald seine ganz eigene Hybridsprache entgegen – irgendwo zwischen genialem Irrwitz und sonderbarem Kauderwelsch.

Der mexikanische Verlag nannte Xilonens Stil „ingleñol“, also „Spanglish“, eine Mischung aus Englisch und Spanisch. Dabei ist Xilonens Sprache aber ein noch viel reicheres Universum: Schimpfwort-triefender Unterklassen-Slang verheiratet sich hier mit den edlen Wendungen des Bildungsbürgertums, die Alltagssprache flirtet mit klassischen Sprachschichten, so dass man auch vor Susanne Lange den Hut ziehen muss. Sie ist hier nicht nur Übersetzerin, sondern geniale Wortschöpferin. Liborio hat sich diese Kreativität von seinem Chef im Buchladen abgehört, der ihn mit den absurdesten lexikalischen Mashups beleidigt.

„»Wenn Sie ein Vogel wären, welcher Vogel wären Sie gern?« »Ein Vögler, du äolischer Schwachkopf. Was sind das für Fragen? Hast du wieder irgendein Selbsthilfebuch in den Pfoten gehabt, du Scheißerchen? Das ziehe ich dir vom Lohn ab, ja? Schrille Flatulenz, du.«“

Um so etwas zu verstehen, ackert Liborio Wörterbücher durch, Wort für Wort, und goutiert schließlich sogar Cervantes, Borges, ja sogar Vergil, Dante und Catull. Und wird umso mehr mitleiden, als sein Chef keine Rechnungen mehr zahlen kann, die Gläubiger Schläger schicken, diese den Laden verwüsten und damit die mittlerweile liebgewonnenen Bücher „töten“. Liborio kommt danach in einer Unterkunft für obdachlose Kinder unter und errichtet dort mit einer Handvoll Schwarten seine eigene Bibliothek.

Das könnte jetzt in bürgerlich-biedere Bildungshuberei und Sozialkitsch für seufzende Teekränzchen-Runden abgleiten, zumal einige Figuren, die Liborios Weg kreuzen, hart am Klischee entlangsegeln: ein hilfsbedürftiges, traumatisiertes Mädchen etwa oder ein väterlicher Mentor.

Vielleicht spart Xilonen deshalb nicht an Drastik, wenn sie die Vorgeschichte in Flashbacks erzählt: bittere Straßengewalt in Mexiko, Liborios fast tödliche Flucht durch den Rio Grande; seine Ausbeutung auf einer Baumwollplantage, mordlustige Rednecks, die, militärisch bewaffnet, Geflüchtete wie Großwild jagen; schließlich Liborios Boxkämpfe, bei denen mehrmals die Knochen der Gegner aus dem Fleisch treten. Was Liborio wiederum, via Handy gefilmt, zum Internetstar werden lässt – eben zum „Gringo Champ“. Und zum Ende hin wird ihn seine angebetete Aireen zumindest umarmen.

„Die Ewigkeit erstarrt, und apokalyptisch nehme ich wahr, wie alles im Universum um mich herum mit unglaublicher Geschwindigkeit rast, nur sie und ich nicht. Wie ein Dämmerlicht die Humusfärbung des Universums dimmt, wie die Erde sich als Kreisel dreht, wie es Tag wird und Nacht und Nacht und Tag in einem Wimpernschlag, immer wieder, kategorisch.“

Dass auch die romantischeren Szenen nicht ins Süß-Klebrige abgleiten, zeigt einmal mehr die zahlreichen literarischen Register, die Aura Xilonen zu ziehen versteht. Natürlich ist die Handlung, vorsichtig gesagt, vorhersehbar. Aber das macht den „Gringo Champ“ nicht weniger zu einem eindringlichen Zeugnis über Flucht, zu einem elektrisierenden Sprachkunstwerk und angesichts des Flüchtlingsdramas an der US-amerikanischen Südgrenze zu einem engagierten, aufrüttelnden Buch der Stunde.

Aura Xilonen: Gringo Champ. Das Buch hat Susanne Lange aus dem Spanischen übersetzt. Es ist bei Hanser erschienen. 352 Seiten kosten 23 Euro.

Für das SWR2 Lesenswert Magazin.