Der US-amerikanische Autor Dirk Wittenborn, geboren 1952 in New Haven, hat schon so manches heiße gesellschaftliche Eisen angepackt: Verschwendungssüchtige Milliardäre, Model-Glitzerwelten und Drogensüchtige im Mediengeschäft. Nun wagt sich Wittenborn an sein eigenes Trauma: Einen Psychopathen, der eine Familie bedroht. In seinem neuen Roman „Casper“ verarbeitet er die Erlebnisse seiner Familie mit einem Patienten von Wittenborns Vater, einem berühmten Psychologen. Ein Psychopath hätte einige Familienmitglieder beinahe getötet und erschoss einen Nachbarn. Damit rollt Wittenborn gleichzeitig die dunkle Geschichte der Psychopharmaka auf und erzählt damit eine sehr aktuelle Geschichte über die glücksuchende amerikanische Seele:

„Mein Vater war Assistenzprofessor in Yale und hatte einen Patienten, der eine Todesliste schrieb. Dieser Patient kam zu unserem Haus, ging aber wieder. Einige Stunden später erschoss er einen anderen Menschen, die Nummer zwei auf der Liste…. Ich wollte ein Mysterium meines eigenen Lebens durch das Buch erforschen. In allen Familien gibt es Geheimgehaltenes, was die Kinder zwar nur erspüren, was aber dennoch das ganze Beziehungsleben in der Familie definiert. So entstand das Buch!“

Es ist die beeindruckende Geschichte einer Familie, die in Berührung mit dem Wahnsinn kommt. Und damit die Erzählung eines jungen Psychologiedozenten, der Schizophrenie und Depression wissenschaftlich zu heilen sucht und gerade dadurch Wahnsinn und Tod in sein eigenes Leben bringt – die Dialektik der Aufklärung in der Nussschale sozusagen. Dr. William Friedrich hofft in den frühen 50er Jahren auf eine Karriere an der Universität Yale. Per Zufall erfährt er von einer bislang unbekannten euphorisierenden Heilpflanze. Friedrich wittert seine Chance, das „Penizillin für den Geist“ zu patentieren und beginnt Versuchsreihen. Das Zeitalter der Pillen hat in den Psychiatrien gerade erst begonnen.

„Psychopillen waren für amerikanische Naturen sehr ansprechend: Sofortheilung wie Fast Food. In den 50er Jahren probierten die Psychiater einfach aus, ob eine Heilungsmethode funktionierte: Sie injizierten Bakterien in den Unterleib von Patienten. Der Abszess und das Fieber sollten die Schizophrenie heilen. Andere sollten auf Kühlschränken schlafen. Das alles machten die in Harvard. Das ist barbarisch. Die Liste ist endlos. Ich habe das nie verstanden. Das war doch schwarze Magie.“

Leider kann Friedrichs Testperson Casper die sanfteren Pillen kaum goutieren: Casper ist ein hochintelligenter soziopathischer Physikstudent, den die Wunderdroge kurzzeitig zum gesellschaftlichen Liebling macht. Bald jedoch kippt Caspers Seelenleben und in einer schizoiden Phase geht er auf einen Rachefeldzug, den Friedrichs jüngster Sohn nicht überlebt. Wenngleich Casper fortan in der Psychiatrie dahinvegetiert, lebt die Familie in seinem Schatten fort: Immer steht die allgemeine Frage im Raum, ob Psychopharmaka heilen oder Amokläufe erst auslösen; ob der Patient oder sein Arzt schuld an der Tragödie war.

„Sie sind beide völlig unschuldig und zugleich schuldig. Ihre Wünsche sind menschlich. Sie sind schuldig, weil sie Träume hegten. Manchmal streckt man sich nach Dingen und weiß nicht, was man vom Schrank runterholt. So ist das Leben. Friedrich will Glückseligkeit verschreiben. Das ist seine Version des amerikanischen Traums. Unsere gesamte Kultur dreht sich darum, um diese Illusion, der wir nachlaufen.“

Am eingehendsten regt der erste Teil des Romans den Leser zum Denken an, weil er immer wieder direkt durch Caspers paranoide Augen blickt. Wittenborn hat sich in den Lehrbüchern seines eigenen Vaters sichtbar kundig gemacht. Selbst in den düsteren Passagen klingt allerdings so manche Pointe an. Hier kann Wittenborn seine Vergangenheit als Sketch-Writer fürs Fernsehen nicht ganz unterdrücken. Er schildert das Leben, wie es in den USA offenbar ist: Manisch-depressiv!