Carolin Callies legt nach vier Jahren ihren zweiten Gedichtband vor. Die gesteigerte Experimentierlust fasziniert und fordert beim Lesen heraus!
Als 2015 der Gedichtband „fünf sinne & ein besteckkasten“ herauskam, da hat die Kritik ihn schnell als das Lyrikereignis des Jahres erkannt: Die Autorin war die 1980 geborene Carolin Callies, und die kreierte einen ganz eigenen Sound, der alles Mögliche zwischen Naturlyrik, Gottfried Benn, Feminismus und Anglizismen anklingen ließ. Es ging um Erotik, ja, aber gerne auch in ekelhaftem, drastischem Vokabular. Zwischen obszön und frivol oszillierte das, mal war das konkret sinnlich, dann wieder hermetisch, abstrakt, eine geschickte Verweigerung von Eindeutigkeit. Carolin Callies hat sich für den Nachfolgetitel Zeit genommen, doch nun ist er da: „schatullen und bredouillen“ setzt noch eins drauf!
Das ist schon wieder eine Wunderkammer der Worte, die uns Carolin Callies da in ihren rund 70 Gedichten in den fünf Kapiteln ihres neuen Bandes „schatullen & bredouillen“ eröffnet! Der erste Blick offenbart Callies‘ Wiedererkennungszeichen: die durchgängige Kleinschreibung, das &-Zeichen und ein, wie die Autorin sagt, leises Winken in Richtung visueller Poesie – leise, aber lauter als im Vorgänger, wenn die Wörter mal wie Kästchen angeordnet sind:
„Ich hatte ein bisschen Lust, das auszuprobieren. Wie kann das Gedicht den Raum auch ein bisschen für sich einnehmen und räumlich werden. Dadurch habe ich eben versucht, diese Schatullen und Bredouillen auch einmal tatsächlich räumlich darstellbar zu machen. Es gibt auch ein Gedicht, das heißt: ‚Horror Vacui aus Wachs‘, das so in Bienenwaben-Form gestaltet ist oder ein Parallelogramm… also wo ich versuche, diesen Raum auf einem Blatt Papier so ein bisschen ins Inhaltliche mit hinein zu nehmen.“
Dieses abstrakte Hauptthema wird sehr schnell konkret. Die Gedichte kreisen um die großen Fragen zum Raum: Wie grenzen wir in unserer Kultur drinnen und draußen ab? Umgeben wir uns seit der Moderne nur noch mit Artefakten wie Kunstblumen? Wie halten wir uns die Natur vom Leibe, der doch selbst Natur ist? Überhaupt fasst Carolin Callies den menschlichen Körper wieder einmal in drastische, groteske, aber gleichzeitig sinngesättigte Bilder: Sind wir wie Büchsenfleisch? Ein Haufen Krümel, vielleicht unendlich teilbar? Sind wir wie eine Matrjoschka – Hüllen in Hüllen? Viele Texte hier befassen sich untergründig mit Körperpolitik, Feminismus, Genderfragen. Sie seien, sagt Carolin Callies, …
„…so eine Art weibliche Selbstbehauptung auch tatsächlich. Also: Wie ist die Frau auch räumlich oder körperlich zu begreifen? Ist sie ein Gefäß, wenn sie tatsächlich schwanger ist zum Beispiel. Wie ist der Körper auch als Raum zu begreifen? Wir können nicht raus, es ist wie eine Art Gefängnis und trotzdem ist es ja unser Zuhause und das war so ein bisschen dieser breite Spannungsbogen, der sich durchgezogen hat.“
Dabei scheut Carolin Callies keine Berührung mit der U-Kultur, will die Lyrik unters Volk und zu jungen Lesern bringen: Sie setzt Anglizismen und Slang ein, veröffentlich auf dem sozialen Netzwerk Instagram und hat einige Texte, die sich rhythmisch dafür geeignet haben, vertont und ins Netz gestellt. Zum Beispiel das anspielungsreiche Gedicht „Neues Blumenbuch“, das eine ambivalente Beziehung in Pflanzenmetaphern beschreibt:
Ausschnitt aus „Neues Blumenbuch“
„das ist ein gräserfüllendes programm. Ich bin brav.
Du bist üpperwiesig, fingesert ein baby come on & auf einmal ist es das:
here we are & das ist unser moment, unser reihenacker, l‘amour.“
Oft scheinen Wortspiele ganze Gedichte inspiriert zu haben, wie etwa „räuber und gedärm“ oder „ast déco“. Wie groß ist dann im Interview die Überraschung, wenn Carolin Callies oft eine ganz andere Entstehungsgeschichte erzählt: Ein Gedicht, das mit Hashtags spielt und die verknappte Sprache im Internet parodiert, ist zugleich auch innerhalb eines Poetennetzwerks entstanden und ergötzt sich an dem Wortspiel „beinahe an den Haaren herbeigeschrieben“.
Ein Gedicht, das körperliche Zustände durch Insektenmetaphern beschreibt, ja, Sie haben richtig gehört, erweist sich wiederum als inspiriert durch ein Bild von Max Ernst. Carolin Callies‘ Poetik will die Maximalentfernung zur Gefühlsduselei. Dabei schlägt der Sinn aber manchmal von Wort zu Wort solche Volten, dass es fast überintellektualisiert wirkt. Es sind oft unentwirrbar viele Sinnebenen übereinander geschichtet, analysiert Carolin Callies:
„Also es ist dieser Rohstoff, wie ich es für mich immer nenne, und den walkt man nochmal durch oder bringt tatsächlich von woanders nochmal Sachen mit hinein aus anderen Rohstoffen, so dass es natürlich auch ein bisschen collagenartig gearbeitet wird in manchen Fällen. Und dadurch verliert es natürlich auch erstmal dieses ganz klar emotional Geschriebene oder kriegt andere Ebenen mit hinein.
Wenn man alles einmal durcheinander mixt, dann hat das so eine starke Spannkraft, weil es sich so ein bisschen widerstrebt und so einen Spannungsbogen oder so eine Spannhaftigkeit aufbaut. Und das macht für mich irgendwie auch den großen Reiz aus, so ganz viele Ebenen in einem Gedicht zu haben, ganz viele Sprachebenen.“
Ein mitunter sehr wilder Wortfelder-Ritt mitten durch Botanik, Anatomie, Religion, Märchen, Umgangssprache… Im Endkapitel wird vollends klar, dass diese Texte unbedingt uneindeutig sein möchten. So heißt das allerletzte Gedicht programmatisch „kleine grammatologie“: Text, Sinn und Klang wollen hier fortwährend entwischen und sich verwischen: Da reimt sich dann „nein, das steht hier nicht geschrieben“ auf „nein, das weht hier nicht gestieben“ und „nein, das reh hat nichts gerieben“. Carolin Callies Gedichte wirken oft auf den ersten Blick hermetisch oder sogar auf verblüffende Weise albern, und bei der zweiten Lektüre dann fast schon zu reich an Bezügen. Die Autorin kommentiert das so:
„Das ist ein Paradox, aber dieses Paradox darf gerade im Gedicht auch bestehenbleiben: Dass es zwar vielleicht geschlossene kleine Räume, geschlossene kleine Schatullen sind, die man öffnen kann, wie man die Büchse der Pandora öffnet. Und auf einmal kommt einem allerlei entgegen. Und im besten Fall kann man das Paradoxe darin aushalten oder findet etwas, was man für sich herausziehen kann. Es ist also ein bisschen beides, aber steht für mich nicht unwidersprochen nebeneinander.“
Ein äußerst bunter Kopf- und Bauchladen, mal kulturkritisch und politisch, dann wieder voll von dadaistischen Gags und Gebildet-Geistreichem. In jedem Fall eine Gedichtesammlung, die mehrfach gelesen werden will und soll!
Carolin Callies: schatullen und bredouillen. Das Buch ist erschienen im Schoeffling Verlag, hat 96 Seiten und kostet 20 Euro.
Rezensiert für das SWR2 Lesenswert Magazin.