Dieser geradezu gehypete Bestseller aus den USA trifft den Nerv der Zeit: R.O. Kwons „Brandstifter“ schildert eine christliche Sekte, die in den Terrorismus abdriftet. Und das Buch hält unliebsame Wahrheiten für Liberale, Christen und Atheisten bereit.

Die junge Autorin R. O. Kwon ist eine der wenigen bekannten koreastämmigen AutorInnen in den USA. Geboren im südkoreanischen Seoul, zog die Familie nach Los Angeles, USA, als Kwon drei Jahre alt war. Kwon hat an der Eliteuni Yale studiert und ihre Erzählungen mittlerweile in der New York Times, dem Guardian, der Vice publiziert. Aber das prägendste Element in ihrem Leben war zweifellos ihr tiefreligiöses christliches Zuhause, bis sie mit 17 Jahren Atheistin wurde. Und das ist in jedem Absatz spürbar.

Existentielle Wucht auf knapp 250 Seiten – das ist der Debütroman „Die Brandstifter“ von Reese Okyong Kwon, die sich knapp R.O. Kwon nennt. Warum fallen junge, gebildete, liberale Menschen dem religiösen Extremismus anheim? Das ergründet Kwon in ihrem Roman. In einem dichten Kammerspiel schildert sie drei Figuren, die alle mit der Sinnlosigkeit des Daseins hadern: Will, Phoebe und John. Will ist es, der die Geschichte erzählt. Er ist Student an einem fiktiven Ostküsten-Elite-College in Noxhurst.

Seine Exfreundin Phoebe ist offenbar in einen dieser typisch amerikanischen, fundamentalistisch-christlichen Anschläge auf eine Abtreibungsklinik verstrickt. Verführt von John Leal, einem Studienabbrecher, der sich aus seinem haltlosen Losertum in eine größenwahnsinnige, selbstgerechte Rolle als barfüßiger Prediger und Abtreibungsgegner geflüchtet hat. Das Buch, das ist Wills Rechenschaftsbericht darüber, Phoebe nicht vor John gerettet zu haben, der von Beginn an geradezu alttestamentarisch predigt, Zitat:

Wir leben in einer Zeit des Bösen. Ströme aus Blut, genährt von Kinderleichen, überfluten dieses Land, und wir haben nichts gegen dieses Blutvergießen getan. […] Ich will euch eine Frage stellen, etwas, das ich mich selbst oft spät nachts frage, wenn ich auf Seinen Geist warte: Wenn Menschen wie ihr und ich nicht radikal für Gott eintreten, wer wird es dann tun?“

John ist ein Demagoge vor dem Herrn. Er erzählt ständig, wie er angeblich mal in einem nordkoreanischen Straflager saß und entkommen konnte. Will durchschaut das als Fake; doch Phoebe, die allseits beliebte Studentin, die sich noch vor kurzem fröhlich durch die Nacht getrunken und gevögelt hat, die durchschaut es nicht. Warum nur nicht?!

Kwon zeichnet Phoebe sehr differenziert: ein Scheidungskind; ein Einwandererkind, aufgewachsen im sehr typischen puristisch-christlichen Milieu der Korea-Amerikaner; eine innerlich leere Frau, die sich nach Bußritualen verzehrt; eine begabte Klavierspielerin, mit Ansprüchen, so hoch, dass sie das Instrument schließlich aufgibt. Insbesondere dieser Wille zur Perfektion sei gefährlich, meint R.O. Kwon.

„Das hat mich sehr interessiert: Was passiert mit so einer Ambition, mit so einem großen Verlangen, wenn es frustriert wird? Ich habe davon gelesen, was für ein gefährlicher Haufen frustrierte Künstler sein können. Denn wenn du ein Künstler bist und dich in die Kunst verliebst, liebst du etwas, was dich an Größe bei Weitem übersteigt. Wenn du fühlst, dass du da aber nicht weiterkommst, wohin geht dann diese Ambition?“

Offensichtlich in eine totale Hingabe an den Glauben! Religiöser Extremismus ist hier die verzweifelte Reaktion auf einen eigentlich mangelnden Glauben, auf die eigenen Zweifel an der Metaphysik. Das diagnostiziert mancher Kulturwissenschaftler heute kühn am Islamismus – Kwon buchstabiert es am Christentum durch. Das Verlangen nach einer geordneten Welt, das sonst nur alten weißen Männern in der amerikanischen Provinz zugeschrieben wird, ergreift hier auch die junge, kluge Migrantin am Elite-College. Eine pessimistische Einschätzung der charakterformenden Wirkung von liberaler Universitätsbildung!

Das eindrücklichste Lehrstück des Buches erhalten wir allerdings von Will.

Eigentlich sollte gerade er Phoebe aus der Sekte retten können: In seiner Jugend war er selbst ein evangelikaler Möchtegernprediger, bekam aber Zweifel und wurde Atheist. So ähnlich hätte er es gerne auch bei Phoebe, doch er weiß: Das Leben in einer abgeschotteten Glaubensgemeinschaft mit festen Ritualen ist meist sehr erfüllend, das Leben als Atheist eher erkaltet und leer. Das sind die ergreifendsten und für Kwon autobiographischsten Passagen im Buch. Denn wie Will hat auch R.O. Kwon in ihrer Jugend ihren Glauben verloren. Auch bei ihr hatten sich einfach zu viele Zweifel aufgetürm:

In der Minute, in der ich Gott verlor, verlor ich auch mein Leben und das Leben aller, die ich liebte. Ich glaubte ja vorher, dass wir alle das ewige Leben hätten, und nun hatten wir alle vielleicht nur 70 Jahre. Das ist ein Schock, mit dem ich immer noch zu kämpfen habe. Diese Trauer hat niemand, den ich kannte, verstanden. Nicht die Religiösen! Und nicht die Atheisten, die immer schon Atheisten gewesen waren. Die sagten nur: ‚Naja, gut für dich, dass du nicht mehr an Gott glaubst!‘ Es war so schrecklich, diese Wunde zu haben, die niemand sehen konnte!“

Selbst ihre gläubigen Freunde lobten sie für ihren Roman, erzählt Kwon, weil sie sich zum ersten Mal als Gläubige von einer Atheistin zutreffend dargestellt und nicht nur belächelt sahen. Eines ihrer Lieblingsthemen, erzählt R.O. Kwon, seien eben Selbst- und Fremdwahrnehmung – und wie beide auseinanderfallen.

Will zum Beispiel verbirgt aus Scham vor seinen reichen Mitstudenten, dass er aus einem Armenviertel in Kalifornien stammt; er verschweigt einen Studenten-Job als Kellner, einfach, um kein Außenseiter zu sein. Viele Figuren sind gebrochen und zerrissen, lügen, täuschen, wollen dazugehören und sich doch abgrenzen, und oft lässt Kwon uns bewusst mit ambivalenten Eindrücken zurück. Resultat einer knappen Sprache mit leuchtenden Details, treffend ins Deutsche übersetzt von Anke Caroline Burger. R.O. Kwon hat am Roman ganze zehn Jahre gefeilt, erzählt sie:

Ich habe sehr viel gekürzt, und ich habe keine Ahnung, wie oft ich das Buch überarbeitet habe. Vielleicht 40, vielleicht 90 Mal. Ich liebe Sprache. Ich kann acht Stunden damit verbringen, auf zwei Sätze zu starren, drei Wörter zu streichen, fünf hinzuzufügen. Um dann den ganzen Absatz zu löschen. Und abends sage ich mir: ‚Weißt du was? Das war ordentliche Arbeit! Die Art von Arbeit, für die ich auf diese Welt geschickt wurde.‘ Das schenkt mir so viel Freude. Aber es bedeutet auch, dass ich keine schnelle Schreiberin bin…!“

Es ist schlicht beeindruckend, wieviel Weltschmerz, Doppelbödigkeit, Verzweiflung und doch Liebe R.O. Kwon in ihren Roman gepflanzt hat und wie sie nach und nach das dunkle Innere aller Figuren offenlegt. Deprimierend und trotzdem und gerade deshalb: ein Genuss.

R. O. Kwon: Brandstifter. Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Anke Caroline Burger. Das Buch ist bei Liebeskind erschienen. 240 Seiten kosten 20 Euro.

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