Man kann an Jesus glauben oder genauso gut an das Fliegende Spaghettimonster. Das jedenfalls meint der US-amerikanische Physikstudent Bobby Henderson. Das Spaghettimonster, behauptet er, habe vor einigen tausend Jahren die Welt erschaffen. Und deshalb müsse man diese Religion auch an den US-High Schools lehren. Pascal Fischer hat Hendersons „Evangelium des fliegenden Spaghettimonsters“ gelesen und mit einem deutschen Nudelprediger gesprochen.
„Es besteht aus Spaghetti mit Fleischklößen und Sauce, fliegt und schwebt in der Luft und hat dann vor allem nudelige Anhängsel. So in etwa könnte man sich das vorstellen.“
Seit der Münsteraner Politikstudent Jörg Steinhaus von Bobby Hendersons neuer Lehre gehört hat, missioniert er Deutschland mit einer eigenen Homepage. Das Internet hat die Spaßreligionsgemeinschaft anwachsen lassen, auf angeblich 30 Millionen Mitglieder weltweit. Die so genannten Pastafarianer übertrumpfen die Kreationisten mit einer eigenen kruden Theorie: Das fliegende Spaghettimonster habe die Welt vor mehr als 5000 Jahren erschaffen, wolle das aber verschleiern.
„Und daher legte es falsche Fährten, vergrub Fossilien in der Erde, und veränderte auch Strahlung im Weltall, so dass man mit den heutigen wissenschaftlichen Mitteln tatsächlich glaubt, das Weltall wäre viel älter, als es tatsächlich ist.“
Einige Kapitel in Hendersons Buch sind voll von absurden Diagrammen, Tabellen und Beweisfotos vom Nudelgott: Gastautoren belegen die Theorie mit abenteuerlichen Beweisführungen aus den „niederen“ Hilfswissenschaften Mathematik, Philosophie oder Biologie. Mal doziert Henderson pseudowissenschaftlich über seine empirisch belegbare Religion. Mal lehrt er emphatisch das gottgefällige Nudelkochen. Mal predigt er von den ersten acht Schöpfungstagen. Mal referiert er abschätzig die Irrlehren eines Aristoteles, Giordano Bruno oder eben eines Charles Darwin. Als menschlich, allzu menschlich verunglimpft Henderson den Willen zu einer vorher festgelegten Wahrheit.
„Wie die Kreationisten wenden auch wir eine etwas unkonventionelle Wissenschaftsmethode an, wobei wir zuerst unsere Schlussfolgerung festlegen und dann Belege zusammentragen, um diese zu stützen. Damit geht einem die Beweisführung viel leichter von der Hand. Vielleicht wird eines Tages auch die Intelligent-Design-Gemeinde von Seinen Nudeligen Anhängseln berührt und reiht sich unter die Pastafarianer ein.“
Immer wieder entlarvt der Autor pointiert, in welche argumentativen Sackgassen sich religiöse Fundamentalisten manövrieren: So wetterten Christen, die die Bibel wörtlich auslegen, für die Waffenlobby und verkündeten gleichzeitig die Friedensbotschaft Jesu. Religiöse Eiferer hetzten gegen Homosexuelle und Kommunisten, um im gleichen Atemzug das hohe Gut der Toleranz zu beschwören. Doch selbst solche Paradoxien seien Teil des unergründlichen Planes des Spaghettimonsters, jenes Geistes, der sich stets widerspricht, sogar im eigenen Evangelium!
„Aufmerksame Leser werden im Text zahlreiche Lücken und Widersprüche finden; vielleicht sogar dreiste Lügen und Übertreibungen. […] Erstens wurden diese scheinbaren Fehler absichtlich von ihm gestreut, um seine Anhänger zu prüfen. Zweitens ist ein gewisses Maß an Ungereimtheit unumgänglich, wenn sich eine Religion ausbreiten will.“
Nun verkünden in Deutschland anders als in den USA noch keine Fußgängerzonenprediger die Apokalypse auf Pappschildern, nur weil Darwin an den Universitäten gelehrt wird. Auch kommen hierzulande wenige auf die Idee, einen Milliarden Jahre währenden Prozess von Auslese und Anpassung mit einem gesellschaftlichen Recht des Stärkeren gleichzusetzen. Aber man erinnert sich noch an das Schulbuch „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“, das Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus offenbar ganz prima fand. Er wollte den kreationistischen Autor zu einem Diskussionsforum über die Entstehung der Welt einladen, bis der mediale Protest so groß wurde, dass die ganze Veranstaltung platzte. Die deutsche Nudelpriesterschaft zeigt sich trotzdem unbesorgt.
„Sie muss nicht übermäßig missionieren und allzu stark auftreten. Wir haben in Deutschland Religionsunterricht, wir haben Ethikunterricht, je nach Bundesland ist das unterschiedlich, aber doch vorhanden. Ich glaube, dass in diesen Fächern die Möglichkeit genug gegeben ist, sich auch mit den kritischen Aspekten der Evolutionstheorie auseinanderzusetzen. Und da sollte das fliegende Spagettimonster schon immer ein Auge darauf haben.“
Die deutsche Homepage scheut übrigens auch nicht vor dem Karikaturenstreit zurück: Sie zeigt eine angeblich dänische Zeichnung. Ein säbeltragender, bärtiger Mann mit Spaghettigesicht inmitten von Frauen in Burkas ist da zu sehen. Natürlich wird diese Abbildung nur aus Gründen der Dokumentation gezeigt.
„Nun, man sollte sich über niemanden lustig machen, nur um ihn zu verletzen und zu verärgern. Aber man sollte sich sehr wohl über Religion lustig machen können!“
So geht es Henderson längst nicht nur um Kreationisten oder Fundamentalisten. Er knöpft sich auch die großen theologischen Argumentationen der abendländischen Tradition vor, zum Beispiel den ontologischen Gottesbeweis des Anselm von Canterbury oder die berühmte Wette von Blaise Pascal.
„Das fliegende Spaghettimonster ist ein Wesen höchster Vollkommenheit. Existenz an sich ist eine Form von Vollkommenheit. Also existiert das fliegende Spaghettimonster. […] Am besten konvertiert man sofort. Sehen Sie es so: Wenn Sie übertreten und es sollte sich herausstellen, dass es das fliegende Spaghetti-Monster nicht gibt, ist nichts verloren. Wenn Sie allerdings nicht konvertieren und es gibt das fliegende Spaghetti-Monster doch, sind Sie ganz schön in den Hintern gekniffen.“
Oft wirkt das Buch geradezu pubertär. Der Himmel zum Beispiel ist ein Ort mit Biervulkan und Stripperinnen, ganz zugeschnitten auf die studentische Jüngerschaft von Henderson. Aber die Argumentation hinter allem Jux bleibt stringent: Wenn eine Gesellschaft sich auf Glaubenssätze berufen möchte, müsste sie sich auch auf neue Lehren einlassen, und zwar auf alle: Dann ist es egal, ob eine Religion Jahrhunderte alt oder vor zwei Jahren entstanden ist.
„Wenn man das aktuelle Buch der anderen Seite nimmt, nämlich von Benedikt dem XVI., dann will er da zwar auch keine Dogmen vorschlagen, aber er geht doch von einer sehr dogmatischen Grundeinstellung aus: Wir nehmen jetzt einfach mal an, dass es so wäre, dass es Gott gibt und dass Jesus sein fleischgewordener Sohn ist. Er lässt dann keine weiteren Argumente zu. Er basiert sein ganzes Werk auf einer Grundannahme, die eben schon zumindest mal hinterfragt werden müsste.“
Stilistisch changiert Henderson zwischen rotzfrecher Parodie und brillant geheucheltem missionarischem Eifer. Sein Evangelium mag manchem Leser zu ulkig erscheinen. Doch das Anliegen Hendersons ist ernst: Er führt religiöse Dogmatiker und Eiferer nach allen Regeln der Satire vor. Qua komödiantischem Verfremdungseffekt werden wir zu Ethnologen unserer eigenen Kultur. Spaß beim Lesen garantiert.
Bobby Henderson: Das Evangelium des Fliegenden Spaghettimonsters. Manhattan/München 2007, 240 Seiten. 14,95 Euro.
Rezensiert für die Politische Literatur im Deutschlandfunk.