Ulrike Guérot sieht im Klimawandel und der Digitalisierung Gefahren für die Demokratie. Diese Staatsform könne nur mit einem neuen Freiheitsbegriff überleben, der weniger Entfaltung, als vielmehr Verzicht und Verantwortung beinhaltet, so Guérots These. Wie aber soll das mit unserem Konsumwillen zusammengehen?

Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot hat das Internationale zu ihrem Thema gemacht. Sie hat in europäischen Think tanks in Paris, Brüssel, London, Washington und Berlin gearbeitet, und es ist ihr dabei stets um Europa gegangen, insbesondere um die Vertiefung der Union. Seit 2016 ist Guérot Professorin an der Donau-Universität Krems, als Publizistin mischt sie sich in die großen Diskurse ein. Nun will sie in einem kleinen Essay zentrale Ideen der Aufklärung verabschieden – allen voran die der liberalen, libertären Freiheit des Individuums.

Man kann zu Recht bezweifeln, ob die meisten Menschen überhaupt je die Berichte des Weltklimarates (IPCC) lesen. Sie betreffen uns alle, sind alarmierend, eine moderne Form von Apokalypse – aber leider gerne einmal mehrere hundert Seiten stark. Vielleicht braucht es kurze, bündige, pointierte Essays wie die der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, um uns in globalen Krisen aufzurütteln. Im Oktober 2019 hielt sie in der Reihe „Wiener Vorlesungen“ einen Vortrag im RadioKulturHaus, den der Picus-Verlag nun veröffentlicht hat.

In ihrem nur 75 Seiten schmalen Bändchen „Begräbnis der Aufklärung?“ macht Ulrike Guérot zwei bedrohliche Entwicklungen aus: Einmal den Klimawandel, dann die Digitalisierung. Das zentrale Problem dabei sei, dass die Demokratie den Entwicklungen kaum Herr wird, solange wir an einem alten libertär-liberalen Freiheitsbegriff festhalten.

Der erweist sich nämlich in mehrfacher Hinsicht als problematisch: Ein Kapitalismus, der qua Markt umweltfreundlichere Produkte schafft, steht, so Guérot, nach wie vor aus. Eher noch verhindert der Kapitalismus die ökologische Wende, wie die jahrzehntelangen Bemühungen zeigten, den Wasserstoffmotor marktfähig zu machen. Die unsichtbare Hand des freien Marktes scheint die Erde eher zu erwürgen.

Auch politisch dürfte jeder Verzicht schwer durchzusetzen sein: Man kämpft schon verbissen um Petitessen wie Plastiktütenverbote, dabei müsse man eigentlich sofort SUVs, Fleischnahrung und innereuropäische Flüge verbieten. Aber wer würde für diese krasse Selbstbescheidung in Wahlen wirklich stimmen? Der Bürger, scheint es, ist zuvorderst Konsument; das zukünftige Gemeinwohl geht ihn weniger an als die heutige Bedürfnisbefriedigung.

Ulrike Guérot meldet damit erhebliche Zweifel an Francis Fukuyamas Optimismus aus den Neunzigern an: Womöglich kommt es nicht zum automatischen Siegeszug der Demokratie – und selbst wenn, dann muss die Demokratie nicht automatisch zum Gemeinwohl, eben zur ökologischen Wende führen.

Die Demokratie bedroht sich selbst, weil sie unfähig zum Verbot ist. Eine solche These ist gewissermaßen ein politiktheoretisches Erdbeben. Nicht Autokraten, nicht Diktaturen, nicht Theokratien oder Terrorismus oder zerfallende Staaten gefährden die Demokratie also, sondern die Unfähigkeit des Volkes, für sein eigenes Wohl zu stimmen. Pikanterweise dachten auch die Philosophinnen Hannah Arendt oder Simone Weil in eine ähnliche Richtung, und Ulrike Guérot zitiert sie höchst nüchtern.

Keine Überraschung, hatte sie doch schon in „Der neue Bürgerkrieg“ direktdemokratische Verfahren abgelehnt. Oft gerühmt für ihren unorthodoxen Sarkasmus, nennt sie auch hier die Aufklärung eine „schöne, anspruchsvolle Ideologie“ und schreibt vom „real existierenden Kapitalismus“.

Ganz anders zeigt sich die Gefahr in der Digitalisierung. Einerseits bezweifelt Guérot, dass bloße Datenmassen – egal zu welchem Wissensgebiet – uns zu Erkenntnissen führen können. Andererseits warnt sie vor den Algorithmen, die uns in den sozialen Medien in Blasen gefangenhalten und Stereotypen reproduzieren. Wie wir da noch auf neue Ideen, gar zu Revolutionen kommen sollen, darf zu Recht bezweifelt werden. Allerdings ist Guérot zuweilen ein bisschen zu technikfeindlich. Denn für komplexe Klimamodelle brauchen wir natürlich empirische Befunde und Algorithmen zur Analyse!

Schlussendlich setzt Guérot auf die „Fridays for future“ – Bewegung, die als einzige für den Verzicht streitet. Guérot hofft, dass es irgendwann zu einer globalen Gesellschaft kommt, welche Rohstoffe, Land, Luft, Wasser, Wissen als Gemeingut verwaltet. Das überrascht, hatte die Autorin doch früher zumindest für eine europäische Republik gestritten. Ihre Weltvision ist ambitionierter, aber auch unkonkret. Wie eine Allmende ohne Nationalstaaten und Grenzen friedlich organisiert werden soll, – oder auf welcher Ebene genau – , das erfährt man nicht in dieser Skizze.

Das Fazit: Das ist ein kulturkritisches, zuweilen pessimistisches Buch, das leider nicht zum Handeln bewegen mag, weil es Lösungen allenfalls dürftig skizziert.

Ulrike Guérot: Begräbnis der Aufklärung? Zur Umcodierung von Demokratie und Freiheit im Zeitalter der digitalen Nicht-Nachhaltigkeit. Wiener Vorlesungen, Band 195. Erschienen im Picus-Verlag. 80 Seiten kosten 10 Euro.

Rezensiert für die SWR2 Lesenswert Kritik.