Pessimismus, Fake News oder gar Rassismus, Nationalismus sowie Vernunft- und Demokratie-Müdigkeit: Wahrheit und Wissenschaft haben es gerade nicht leicht. Umso glühender verteidigt der Harvard-Psychologe Steven Pinker diese Säulen der Moderne in seinem Buch „Aufklärung jetzt!“ 

Die Frage liegt nahe: Warum noch ein Buch, das uns optimistisch stimmen soll – vor allem nach Pinkers Buch zur Gewalt?

Pinker schreibt, er sei angesichts der logisch schlappen, aber wüst vorgebrachten Gegenargumenten damals geradezu baff bewesen. Nun zählt er zunächst sämtliche kognitiven Fehlleistungen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen auf, die uns glauben machen, einfach alles liefe schlecht: Die Medien favorisierten Negatives gegenüber langfristigen positiven Entwicklungen; Pessimismus werde oft kompetenter eingeschätzt als Optimismus; eine Blindheit gegenüber langfristigen, positiven Entwicklungen führe zur Überzeugung, nur eine Politik des Protests, der Stärke und der Revolution sei angesagt… und so fort.

So etwas führe zu so unterschiedlichen Phänomenen wie dem Brexit, Trump, Fake News, Impfgegner, Sexismus, Rassismus oder radikalen Religionen. Das ultimative, wissenschaftliche Gegenmittel seien Statistiken – also zeigt Pinker im größten Teil des Buches, dem Mittelteil, in einem atemberaubenden Faktenberg, wie unser Leben schlicht unleugbar besser geworden ist, undzwar in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Lebenserwartung, Reichtum, Bildung, Toleranz, Lebensglück.

Nur ein Beispiel: Durch die Pocken starben im vergangenen Jahrhundert noch 200 Millionen Menschen, nun ist die Krankheit ausgerottet. Das haben weder Religionen noch autoritäre Herrscher vergangener Zeiten geschafft – sich wegen ein bisschen Spiritualität und Tradition nach den romantisch-unwissenschaftlichen Zeiten zurückzusehnen, ist schlicht pervers.

Das täten insbesondere linke Kritiker der Naturwissenschaften, und wütend zieht Pinker zu Felde gegen die kritische Theorie, die Postmoderne, den Poststrukturalismus, den Existentialismus. Teils zu Recht, wenn sie Irrationalität, revolutionäre Gewalt, gar Tyrannen verherrlichen und Ressentiments gegen den Fortschritt befördern. Aber teils zu Unrecht, wenn sie die Dialektik der technischen Zivilisation kritisieren. Für einen streckenweise zu unkritischen Pinker sind Menschenexperimente und faschistische Eugenik Fehltritte Einzelner, nie einer ethikblinden Wissenschaftskultur. Besonders ins Auge fällt seine tendenziöse Quellenauswahl bei Friedrich Nietzsche, für ihn Erzfeind und prototypischer Antiaufklärer, den er philologisch nicht ganz auf der Höhe zitiert und dessen Faszination in den Geisteswissenschaften er nicht nachvollziehen kann.

Er selbst, gesteht Pinker, sei nicht bewandert in der dunklen Kunst der Begeisterung der Massen, und legt die Latte der Statistik- und Zitatquote im Vergleich zum Buch „Gewalt“ dann noch einmal höher: 170 von diesen 740 geradezu einschüchternd eng bedruckten Seiten sind Fußnoten – das mag die abschrecken, die es gerade zu überzeugen gälte.

Schon die Aufklärer, hat doch der Germanist Steffen Martus hierzulande gezeigt, begriffen schnell, dass mundfeine Schriftchen den Ideen im Volk am ehesten zum Durchbruch verhelfen. Dabei liefert Pinker durchaus hier und da psychologisch bewiesene Taktiken, mit denen zum Beispiel Klimagegner zum ökologischen Handeln bewegt werden können.

Dann wieder wird Pinker ein wenig zu optimistisch, gerade wenn er über die Feinde der Aufklärung schreibt: Ein Donald Trump werde schon von den hehren politischen Institutionen, die einst die Gründerväter der USA schufen, gestoppt – aber haben ihn diese Institutionen nicht leider an die Macht gebracht? Höhlt er sie nicht weiter aus?

Im ersten und dritten Teil, den eher programmatischen Abschnitten, will Pinker schlicht zu viel. Er widerlegt unterwegs Gottesbeweise, führt jegliche religiöse Moralbegründung ad absurdum, brandmarkt den Islam als antihumanistisch, prangert die Gender-Studies an, begründet die Menschenrechte, versucht sich schnell noch in Bewusstseinsphilosophie. Der faktengesättigte Mittelteil hingegen ist ein einzigartiges Fakten- und Argumente-Lexikon für die Aufklärung und macht das Buch dann doch zur Waffe der Stunde.

Steven Pinkers Buch „Aufklärung jetzt! Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt“ wurde übersetzt von Martina Wiese und ist erschienen im S. Fischer Verlag. 736 Seiten kosten 26 Euro.

Für die SWR2 Lesenswert Kritik.