Es ist dieser Tage in der Frankfurter Kunsthalle Schirn wie im Urlaub: Eine Anzeigentafel vom Flughafen rattert oben an der Wand. Man tritt durch den Metalldetektor und sieht ein Gepäckband rotieren. Einfache Motive einer künstlichen Reisewelt stehen am Anfang in der Schirn. Aber wohin geht die Reise für die Kunst? Die bildmächtige Tourismus-Industrie erstickt sie geradezu mit Werbefotos von angeblich authentischen Strandparadiesen, mächtigen Bergen, antiken Stätten. Die meisten der 30 internationalen Künstler in der Schirn überspitzen, parodieren, verfremden, um die globalisierte Bildsprache zu unterlaufen. So zum Beispiel Ergin Cavusoglu aus London:

In einem dunklen Raum hört man Flughafengeräusche und sieht auf mehreren Bildschirmen Szenen vom Check-In.

Damit wolle der Reisende sich nicht beschäftigen, meint Cavusoglu. Wir wollten immer nur ans Ziel. Der Flughafen solle keine Urlaubserinnerung sein!

Der Blick auf die Transitphasen knackt das Bildmonopol. Das „Dazwischen“, der Blick auf einzelne Menschen wird frei. Nicht die Geographie der Urlaubsorte, sondern eine soziale Geographie entstehe. Zuweilen mit einem geradezu hämischen Blick, wie beim Briten Martin Parr, bekannt für seine knallbunten, hässlichen Schnappschüsse der reisenden Unterschicht. Er zeigt die Alpen – aber nur im Hintergrund der Fotos. Im Vordergrund stehen die Halbglatzen der Touristen. Reiner Riedler aus Österreich entlarvt die Künstlichkeit der absurdesten Urlaubsparadiese: Sommerliche Skilifte mit Sonnenschirmen! Wachmänner auf Bootsstegen in Südseehallenbädern! Hier will niemand mehr unbekanntes Terrain entdecken, wie einst zu Beginn des Tourismus im 18. Jahrhundert, hier muss das Bild stimmen, egal zu welcher Jahreszeit, egal, wo. Der Tourismus hat sich in unseren Alltag hineingefressen, das dokumentieren einige Kunstwerke geradezu brachial:

Die amerikanische Künstlerin Stuart Hawkins filmt sich, wie sie im touristisch unerschlossenen Nepal Einheimische zu westlicher Discomusik tanzen lässt. Auf einer Fotomontage verdunkelt ein ganzer Schwarm von Billigfliegern den Himmel, auf einer anderen rammen sich Kreuzfahrtschiffe in das Herz einer Hafenstadt hinein. Engagiert kritisiert die Ausstellung die Geschwüre der Globalisierung, wie Prostitution und Terrorismus. Aber zuweilen eignen sich die Künstler die touristische Wahrnehmung auch an. So versuchen sich Peter Fischli und David Weiss an der unschuldigen Ästhetik des Schnappschusses, erklärt Kurator Matthias Ulrich vor der 3000-teiligen Diashow der beiden Schweizer:

„Man sieht alles. Schnappschüsse, Bilder von Nebensächlichkeiten, Bilder von Sonnenuntergängen, den Eiffelturm, Pyramiden…alles völlig ungeordnet!“

Und verwackelt, abgeschnitten, ungeübt, geradezu Picassos der touristischen Fotographie. Sie verweisen auch auf den Wandel des Künstlerlebens: Zwischen Vernissagen und Projekten hetzen auch Künstler über den ganzen Globus und sind ewige Nomaden.

Zumindest für normale Touristen bietet die Ausstellung am Ende Auswege aus den vorgefertigten Bilderwelten:

Lee Mingwei aus Taiwan besuchte Frankfurt und ließ sich die Stadt sehr persönlich von 10 Einheimischen zeigen. Herbstblätter, Fotos, Bücher, sogar Schuhe seiner Gastgeber und Videos von allem stellt er als Collage aus. Allesamt ganz anders als die typisch asiatischen Touristenreisen.

Asiaten, findet er, blieben immer in ihrer eigenen, sicheren Seifenblase. Mingweis Art des Tourismus sei eine größere Herausforderung, aber belohne auch mehr. Eine Stadt sei schließlich die unendliche Anzahl von möglichen Blicken auf diese Stadt.

Erlebnisreich und bunt ist die Ausstellung. Dieser Facettenreichtum mag darüber hinwegtrösten, dass Kurator Matthias Ulrich das Thema Klimawandel ausgelassen hat und keine zentrale These ausgearbeitet hat. Aber das ist gut. Alles Andere wäre künstlich und krampfhaft pointiert. Ein globales Phänomen wie den Massentourismus wird man nie in den Rucksack einer Ausstellung stopfen können.

Ausstellungskritik für das Kulturprogramm der Deutschen Welle.